Nach Rottweiler-Attacke: Gedanken zur Sachkundeprüfung in Bremen

Nach Rottweiler-Attacke: Gedanken zur Sachkundeprüfung in Bremen

Sorgt ein Sachkundenachweis bzw. Hundeführerschein für mehr Sicherheit?

Nach der schlimmen Attacke eines Rottweilers auf ein 6jähriges Mädchen Anfang November, wurden die Stimmen nach einem Sachkundenachweis für Hundehalter plötzlich wieder einmal laut in der Bremer Politik.

Wieder einmal!

Denn Thema ist der Sachkundenachweis in Bremen seit Jahren regelmäßig, wird seit langem von verschiedensten Seiten aus der Politik wie auch Tierschutzvereinen und Hundeschulen gefordert und ist dann genauso regelmäßig ein weiteres Mal versandet. Dass es nun auf einmal ganz schnell gehen soll, hinterlässt bei mir einen bitteren Beigeschmack.

Es bleibt der subjektive Eindruck, dass erst etwas Schlimmes passieren und ein Kind zu Schaden kommen musste, bevor die zuständigen Stellen endlich aus dem Quark kommen.

Nun bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung einer verpflichtenden Sachkundeprüfung nicht ad-hoc mit der heißen Nadel gestrickt wird, sondern mit Umsicht und Sachverstand durchgeführt wird.

Und zwar zum Wohle aller: Der Hundehalter einerseits und der Öffentlichkeit andererseits. Die als letztere vor allem ein Recht darauf hat, so gut wie möglich vor Gefahren geschützt zu werden, die klar von Hunden ausgehen können. Trotzdem wird man einräumen müssen, dass auch der beste „Hundeführerschein“ zukünftig nicht verhindert, dass es zu Beißvorfällen kommen wird.

Nichts desto trotz ist es eine Chance darauf, die Anzahl von ernsten Beißvorfällen zu minimieren und Hundehalter mehr in die Pflicht zu nehmen. Hundebesitzer müssen ihre Hunde so führen und erziehen, dass so wenig Gefahr wie möglich von ihren Tieren ausgeht.

Der Vergleich mit Niedersachsen

In Niedersachsen ist der Sachkundenachweis in Theorie und Praxis seit 2013 Pflicht für alle Neuhunde-Halter. Und zwar unabhängig von der Rasse oder Größe des Hundes. Es ist also nicht erheblich, ob man sich in der Hundehaltung für einen Chihuahua, Boxer oder American Staffordshire entscheidet.

Da ich inzwischen seit vielen Jahren als anerkannte Sachkundeprüferin für das Land Niedersachsen entsprechende Nachweise in Theorie und Praxis abnehme, sehe ich durchaus, welche Vorteile eine Sachkundeprüfung hat, aber auch, wo es aus meiner Sicht am niedersächsischen Modell hapert.

Fangen wir mit den Nachteilen an. Die sind es nämlich an erster Stelle, die die Öffentlichkeit betreffen.

Die Sachkunde muss nur von Neuhunde-Haltern erbracht werden:

Jahrelange Hundehaltung heißt keineswegs automatisch, dass jemand Hundeerfahrung hat. Das muss ich so klar formulieren!

Jahrelang einen Hund gehalten zu haben, beinhaltet im Zweifel eben auch, über Jahre einen Hund besessen zu haben, der trotzdem nicht erzogen und trainiert war. Oder einen Hund auszuführen, der – aus welchen Gründen auch immer –  keineswegs ungefährlich für andere ist oder war. Und es ist, aus meiner Sicht, absolut erschreckend, wie wenig Hundesachverstand der eine oder andere angeblich „erfahrene“ Hundehalter hat, obwohl er sich gänzlich anders einschätzt.

Selbst wer gut und unproblematisch einen Kleinpudel oder Golden Retriever 10 oder mehr Jahre geführt hat, kommt nicht zwangsläufig mit einem Hundetypus klar, der gänzlich andere Eigenschaften mitbringt wie z.B. Wach- und Schutzqualitäten, ausgeprägtes Beutefangverhalten etc..

Dem trägt das niedersächsische Modell keine Rechnung.

Mal davon abgesehen, dass es auch Kleinpudel und Golden Retriever gibt, die keineswegs ungefährlich für ihre Umwelt sind.

Die praktische Sachkunde kann mit einem anderen Hund absolviert werden

Das ist m.M.n. ein der größten Fallstricke der niedersächsischen Sachkundeprüfung. Auch wenn die meisten Hundehalter tatsächlich mit ihrem eigenen Vierbeiner zur Prüfung antreten, ist das keine Pflicht.

Im Gegenteil hat dieses (nachlässige) Schlupfloch erstaunlicherweise dafür gesorgt, dass sogar einige Hundeschulbetreiber und Prüfer ihren Kunden ihre eigenen gut ausgebildeten Hunde für die Praxis-Prüfung zur Verfügung stellen. Dass das ggf. mit extra Kosten für den Prüfling verbunden ist, steht noch einmal auf einem anderen Blatt – es ist jedoch grundsätzlich erlaubt.

Das Problem dabei: Einen vorab entsprechend trainierten Hund in den absoluten Basics zu führen, heißt eben auch nichts anderes, dass der eigentliche Besitzer seinen Hund wirklich gut ausgebildet hat.

Mit meinem Rüden könnte z.B.  jeder die Prüfung laufen und würde sie auch mit Bravour bestehen. Das ist aber ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass ich ihn selbst sehr zeitintensiv so gut erzogen und ausgebildet habe.

Anmerkung: Ich verleihe oder vermiete meinen Hunde aus Überzeugung nicht für Prüfungen!

Was in diesem Prüfungskontext mit fremdem Hund gar keine Berücksichtigung fände:

Mein Rüde aus dem Tierschutz ist rassetypisch durchaus jagdambitioniert und hat gewisse territoriale Ansprüche (wenn man sie zulässt). Ich habe viel Zeit und Training in meinen Hund gesteckt, damit er sich in bestimmten Situationen zurücknimmt und sich angepasst verhält.

Hundehaltern diese Form der Arbeit zu ersparen, um sich als Prüfling selbst, die Öffentlichkeit und den Gesetzgeber dann in falscher Sicherheit zu wiegen, empfinde ich schon als fragwürdig und dem eigentlichen Sinn des Gestzes widersprechend.

Eine Sachkundeprüfung mit meinem Rüden erfolgreich zu bestehen, wäre lediglich eine Überprüfung meiner eigenen Fähigkeiten zur Ausbildung meines eigenen Hundes zu genau diesem Zweck. Dazu hat der Prüfling gar nichts beigetragen. Außer, dass er zur Prüfung die Leine meines Hundes in der Hand gehalten hätte.

Praktische Prüfung innerhalb eines Jahres nach Anschaffung des Hundes

Wollen wir von einer inhaltlich ernsthaften Prüfung mit Nutzen für die Sicherheit der Öffentlichkeit ausgehen, sollte diese auch ein Mindestalter des zu prüfenden Hundes beinhalten.

Will der Gesetzgeber tatsächlich eine einigermaßen aussagekräftige Information über den verlässlichen (!) Erziehungsstand des Hundes, reicht ein Jahr Erziehung und Ausbildung für viele heranwachsende Hunde nicht aus.

Es sollte Berücksichtigung finden, dass Hunde sich in Entwicklungs- und Reifephasen befinden, die rassegenetisch sehr unterschiedlich sein können.

Ich könnte z.B. einen Cane Corso oder meinetwegen auch Bernhardiner mit 10 oder 12 Monaten als sozial unproblematisch prüfen – der ist aber mit 2 Jahren im Zweifel trotzdem nur noch bedingt so freundlich unterwegs wie als Teenager und zum Zeitpunkt der Prüfung.

Aus meiner Sicht müsste also eine inhaltlich sinnvolle Prüfung daher auch Zeit- und Reifefaktoren berücksichtigen. Eine Prüfung, die nicht mit dem einigermaßen erwachsenen Hund stattfindet, sagt ggf. nicht viel aus. Einen Hund unter 2 Jahren auf seine vermeintliche Alltagstauglichkeit zu prüfen, ist Augenwischerei und suggeriert eine scheinbare Sicherheit, die am Ende bei einigen Hunden gar keine ist!

Das Alter und der Reifegrad des Hundes findet im niedersächsischen Modell bislang leider keine Berücksichtigung.

Überpüfung der Sachkunde

Ob die Sachkunde – vor allem das Absolvieren der praktische Prüfung – überhaupt kontrolliert wird, ist in Niedersachen m.E.n. sehr abhängig von der jeweils zuständigen Gemeinde. Die einen machen dies recht akkurat, indem sie die Hundehalter schriftlich erinnern, dass das Jahr bald um ist und der Hundehalter den Nachweis für die praktische Prüfung in Kürze vorlegen muss. Andere scheinen darauf zu verzichten.

Das fasse ich mal so zusammen: Wer die Pflicht zu Sachkundenachweis im Landesgesetz stehen hat, muss auch kontrollieren. Sonst brauchen wir kein Gesetz.

Vorteile der niedersächsichen Sachkundeprüfung.

Tierschutz

Die Vorteile des Sachkundenachweises sehe ich gerade auch im Tierschutz. Da kann ich allerdings nur im Hinblick auf die Gemeinde Stuhr sprechen, die tatsächlich sehr vorbildlich die Prüfungen kontrolliert und auch den praktischen Nachweis explizit einfordert.

Durch meine langjährige ehrenamtliche Arbeit als Hundetrainerin für das Tierheim Arche Noah in Brinkum, kann ich aber durchaus von positive Auswirkungen auf den Tierschutz erkennen:

Mit der Einführung des verbindlichen Sachkundenachweises 2013 hat sich z.B. die Zahl der herrenlosen Fundhunde, die nicht mehr aus der Arche Noah abgeholt werden, reduziert. Die immer wieder geäußerte Befürchtung, dass ein verpflichtender (und kontrollierter) Sachkundenachweis zu mehr angeblich ausgesetzten Hunden führt, hat sich dementsprechend hier gerade nicht bestätigt. Das Gegenteil ist der Fall.

Eine entsprechende Erziehung und Ausbildung von Hunden ist gelebter Tierschutz durch die Hundehalter selbst und kann so durchaus die Tierheime entlasten.

Sachkundenachweis unabhängig von Rasse oder Größe des Hundes

Dass Niedersachsen innerhalb der Sachkunde keine Ausnahmen macht und nicht auf Größe, Rasse oder Gewicht des Hundesabstellt, halte ich für einen der wichtigsten Punkte. Denn nicht nur kann jeder Hund beißen, es hat auch jeder Hund ein Recht auf einen sachkundigen Halter.

Dieser sollte sich vorab nicht nur mit den Bedürfnissen der Spezies Hund und den unterschiedlichen Rassen vor der Anschaffung auseinandergesetzt, sondern sich auch mit rechtlichen Rahmenbedingungen der Hundehaltung, dem Ausdrucksverhalten und der Kommunikation von Hunden und den Grundzügen des Lernverhaltens beschäftigt haben.

Davon dürften übrigens aus meiner Sicht auch viele (Kleinst-) Hunderassen profitieren, die ebenso Bewegung und Auslastung benötigen und genauso einen Anspruch auf hundegerechte Haltung und Erziehung haben:

Ich bemerke in Bremen tatsächlich viel zu viele Kleinhunde populärer Rassen wie Zwergspitze oder Chihuahuas, denen man schon anhand deutlich zu langer Krallen und fehlender Bemuskelung ansieht, dass sie vermutlich nur zum Lösen vor die Tür geführt werden.

Registrierungspflicht

In Niedersachen sind Hunde zusätzlich offiziell zu registrieren. Das macht die Zuordnung bei „gefundenen“ Hunden deutlich einfacher, ist aber noch ausbaufähig. Das größte Problem ist nicht die Unwilligkeit der Hundehalter, sondern u.a.  auch die mangelnde Aufklärung seitens der Tierärzte, Tierschutzvereine und/oder Züchter.

Es wird nach wie vor nicht genügend darauf hingewiesen, dass der Hundehalter nach der Chipsetzung (durch einen Tierarzt) sein Tier explizit selbtstständig noch einmal mit der entsprechenden Chipnummer im Register anmelden muss. Viele Hundehalter gehen davon aus, dass dies der Tierarzt tut. Und zwar sowohl im niedersächsichen Register als auch in einem Suchportal wie z.B. TASSO.

Daher ist bei Fundhunden immer wieder zu sehen, dass die Tiere zwar regelmäßig gechippt, aber eben nicht registriert sind.

Zudem macht eine ordentliche Registrierung durchaus im Zuge einer echten „Gefahrprävention“ Sinn:

Es ist für Hundehalter damit schlicht schwerer, ihren schon „auffällig“ gewordenen Hund unter Vorspiegelung falscher Tatsachen z.B. über das Internet weiterzugeben.

Haftplichtversicherung

In Niedersachsen ist nach NHundG eine Hundehalterhaftpflicht zwingend vorgeschrieben. Das ist absolut begrüßenswert, um zu verhindern, dass durch Hunde Geschädigte auf den verursachten Schäden sitzenbleiben oder sich kosten- und zeitintensiv erst Recht erstreiten müssen. Mit vielleicht sogar ungewissem Ausgang, weil der Halter die Kosten finanziell gar nicht begleichen kann.

Hunde müssen inzwischen kaum noch etwas können.

Das ist aus meiner Erfahrung leider inzwischen Alltag.

Wieviele Hunde können überhaupt noch an lockerer Leine mit ihrem Halter durch die Stadt gehen, andere Hunde und Passanten ignorieren, sofort zurück kommen, wenn man sie ruft?

Simple Basics und das absolute Minimum von dem, was (nicht nur) ein Stadthund können muss. Das ist wirklich nicht viel. Stattdessen kann der Hund Zuhause – und ohne Ablenkung – maximal Pfötchen geben und sitz. Und darauf sind nicht wenige Hundehalter inzwischen als Leistung bei einem 2jährigen erwachsenen Hund stolz!

Wo gibt es nicht tagtäglich Diskussionen unter Hundehaltern, weil einer unbedingt seinen Hund zum anderen hinlaufen lassen will und sich explizit über den gegenteiligen Wunsch des anderen Hundebesitzers hinwegsetzt?

Es ist eine absolut verkehrte Welt, wie Menschen mit erwachsenen Hunden umgehen und sie behandeln, als wären sie zahnlose Säuglinge. Das wird weder Hunden gerecht, noch der Umwelt, die mit solch unerzogenen und unkontrollierbaren Hunden konfrontiert ist. Wen interessiert es, ob der Hund Zuhause Pfötchen geben kann, während er draußen Radfahrer jagt, den Postboten beißt oder einfach ungefragt andere Hunde umrennt?

Ein Umdenken ist, aus meiner Sicht, bei Hundehaltern dringend erforderlich:

Es muss unbedingt wieder mehr Wert darauf gelegt werden, seinen Hund so zu erziehen, dass er sich vor allem neutral (!) im alltäglichen Leben und im Umgang mit der Umwelt verhalten kann.

Das heißt: Er rennt nicht unaufgefordert zu anderen Hunden oder Menschen, bellt keine Kinder an, jagt keine Jogger oder Radfahrer. Er bleibt erst einmal selbstverständlich im Dunstkreis seines Halters. Das ist das, was Hundehalter mit ihren Hunden üben müssen, nicht Pfötchen geben.

Wie würde ich mir ein Modell für Bremen vorstellen?

Ich finde die niedersächsiche Variante grundsätzlich gut. Aber eben in einigen Teilen deutlich verbesserungswürdig.

Sinnvoll aus meiner Sicht wäre die Sachkunde unter folgenden Aspekten:

  • theoretische Sachkunde für alle Neuhundehalter vor der Anschaffung des Hundes
  • Sachkundepflicht auch für jeden, der schon Hunde besitzt oder in der Vergangenheit besaß
  • praktische Prüfung mit dem eigenen Hund und keine Möglicheit, Leihhunde einzusetzen
  • Berücksichtigung eines Mindestalters für heranwachsende Hunde für eine realistische Verhaltenseinschätzung

Für Bremen wüde ich mir zudem wünschen, dass sowohl die Bürgerschaft als auch der Senat an der Umsetzung des Gesetzes einfach auch einmal diejenigen beteiligen würde, die zum einen ohnehin schon als Prüfer tätig sind, als auch grundsätzlich die Hundetrainer als Praktiker im jahrelangen Umgang mit Hunden und ihren Haltern befragt.

Wer hat denn den Einblick? Das sind doch an erster Stelle die Hundeschulen und Hundetrainer. Weshalb das nie passiert, erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht.

In Bremen sind schließlich etliche Hundetrainer zugelassen, die seit vielen Jahren ebenfalls die niedersächsische Sachkundeprüfungen abnehmen.

Rasselisten

Ob das Festhalten an Rasselisten Sinn oder Unsinn ist, möchte ich an dieser Stelle nicht kommentieren.

Fakt ist: In entsprechenden Bremer Stadtteilen gibt es in nicht gerade geringer Anzahl genau die Hunde, deren Haltung hier seit vielen Jahren untersagt ist. Da es aber weder geahndet noch kontrolliert wird, kann man sie auch genauso gut  – unter Auflagen (sprich: Hundeführerschein) – erlauben.

Ich sehe täglich z.B. in Walle, Gröpelingen und Huchting Pits, Staffs und Mixe daraus. Die sieht, sein wir ehrlich, das Ordnugsamt und die Polizei doch auch. Da müssen wir uns nichts vormachen. Entweder also klar durchsetzen oder zulassen.

Wenn Bremen nicht weiß, wie es mit der Vielzahl der vorhandenen Hunde offiziell verbotener Rassen umgehen soll und stattdessen so tut, als würde es sie gar nicht geben – dann wäre ein Hundeführerschein die kleinste Hürde, auch dieses totgeschwiegene Problem endlich anzugehen.

Aggression versus fehlgeleitetes Beutefangverhalten

Zum Schluss will ich noch auf einen Punkt eingehen, der innerhalb der Diskussionen um Sachkundeprüfungen und Hundeführerscheine so gut wie nie erwähnt wird: Fehlgeleitetes Beutefangverhalten.

Gerade als Laie bekommt man den Eindruck vermittelt, dass vor allem Hunde als gefährlich angesehen werden, die sich aggressiv verhalten. Es wird aber kaum angesprochen, dass insbesondere Hunde mit einem verschobenen Beuteschema diejenigen sind, von denen ganz besonders eine Gefahr ausgeht.

Dabei geht es aber gar nicht um Aggression, sondern um Jagdverhalten:

Also Hunde, die z.B. andere Hunde und/oder Menschen als jagdbare Beute betrachten. Am Ende einer „erfolgreichen“ Jagd steht eben leider faktisch das Töten der Beute. Und genau hier verwirklicht sich im schlimmsten Fall die größte Gefahr für Kinder.

Dem Thema Beutefangverhalten müsste in diesen Debatten von allen Seiten deutlich mehr Raum gegeben werden, als sich ausschließlich am Aggressionverhalten abzuarbeiten.

Und auch Hundehalter benötigen m.M.n. ein viel präziseres Wissen um die Entstehung solcher Probleme und wie gefährlich manche Hunde werden können, wenn unreflektiert Jagd- und Hetzspiele gefördert werden.

 

 

Warum die Unterscheidung von Impulskontrolle und Frustrationstoleranz wichtig für ein erfolgreiches Hundetraining ist!

Warum die Unterscheidung von Impulskontrolle und Frustrationstoleranz wichtig für ein erfolgreiches Hundetraining ist!

Frustrationstoleranz ist nicht gleich Impulskontrolle

Impulskontrolle und Frustrationstoleranz sind derzeit die Schlagworte in der Hundeerziehung und in aller Munde.

Trotzdem tun sich nicht nur viele Hunde schwer damit, Ruhe und Gelassenheit in aufregenden Situationen zu bewahren, sondern ebenso auch unzählige Hundehalter, ihrem Vierbeiner genau das beizubringen.

Woran liegt das?

Ich denke, dass tatsächlich vielen Hundebesitzern gar nicht wirklich klar ist, was sich hinter diesen beiden Begrifflichkeiten verbirgt. Mit diesem Artikel möchte ich auf verständliche Weise Aufhellung in dieses Thema bringen.

Denn obwohl die Begriffe Impulskontrolle und Frustrationstoleranz sehr häufig synonym benutzt werden, meinen sie aber nicht dasselbe – und das ist wichtig für ein erfolgreiches Training!

Wenn es ganz dumm läuft, machst Du Dir eine erfolgreiche Frustrationstoleranz mit Impulskontroll-Übungen vielleicht sogar kaputt.

Was ist Impulskontrolle?

Impulskontrolle ist die situative, aber bewusste und gewollte Unterdrückung der eigenen Gefühle und Affekte. Es handelt sich also ganz klassisch um Selbstbeherrschung.

Beispiele:

  • Dein Hund kann das Kommando „sitz“ bis zu Deiner Auflösung eine ganze Minute sicher halten – obwohl er damit länger auf seinen heißgeliebten Keks warten muss.
  • Dein Hund kann sich das Anspringen als aktive Handlung zur Begrüßung verkneifen, obwohl er dies in dieser Situation am liebsten trotzdem tun würde. Stattdessen stuppst er Dich nur schwanzwedelnd mit der Nase an.

Der Begriff Impulskontrolle umfasst dabei mehrere Aspekte:

  1. Den Belohnungsaufschub (also zum Beispiel auf den Keks länger zu warten)
  2. Die Hemmung von bereits zuvor gelernten Verhaltensmustern (also Dich jetzt nicht mehr anzuspringen)
  3. Die Verhaltensflexibilität (Dich zur Begrüßung stattdessen nur mit der Nase anzustuppsen)

Wichtig zu wissen:

Impulskontrolle hat auch für Hunde eine ganz bedeutsame soziale Funktion. Sie ist in den meisten Alltagssituationen erforderlich und schafft u.a. erst die Grundlage, um sich überhaupt in gesellschaftliche und/oder familiäre Strukturen einfügen zu können.

Also bspw. auf sein Futter warten zu können, nicht wie irre an der Leine seinen Besitzer hinter sich her zu ziehen, sich an seinem Menschen zu orientieren, anstatt den Artgenossen anzupöbeln. Oder einfach mehr Hundefreunde zu finden, indem man den anderen nicht gleich wie ein Panzer bei der ersten Kontaktaufnahme über den Haufen rempelt…

Einen ersten Impuls kontrollieren und hemmen zu können, ist sozusagen die kurze innere Pause, um im Anschluss sein Verhalten anpassen zu können. Impulskontrolle schafft also somit erst die Chance auf eine Neubewertung einer Situation, damit bisherige Reaktions- und Verhaltensmuster überdacht und angeglichen werden können.

Impulskontrolle ist in erheblichen Teilen Ergebnis von Lernprozessen und Training!

Das heißt: Auch ein hibbeliger, nervöser und aufgeregter Hundetyp kann deutlich mehr Selbstbeherrschung lernen. Wie gut sich Dein Hund später in bestimmten Situationen unter Kontrolle hat, liegt also auch entscheidend an Deinem Trainingsaufwand.

Je reizempfänglicher, unruhiger oder ungeduldiger Dein Hund also ist, desto mehr Zeit in Training musst Du als Hundehalter für entsprechend erwünschte Ergebnisse investieren.

Der Klassiker: Warten vor der Futterschüssel

Dem Menschen die Futterschüssel nicht aus der Hand zu schlagen und ein paar Momente warten – das können tatsächlich die meisten Hunde. Und zwar, weil die Besitzer genau das von Tag 1 schon mit ihrem Welpen üben.

Das ist gut, heißt nur leider im Umkehrschluss nicht, dass Dein Hund dieses Warten genauso auf den Besuch anwendet und ihn deshalb nicht mehr anspringt.

Das Abrufen von Impulskontrolle unterliegt – gerade bei sehr aufgeregten und reizempfänglichen Hundetypen – eben auch spezifischen Reizsituationen: Wer also auf das Futter warten kann, kann sich noch lange nicht zusammenreißen, wenn es um Hundebegegnungen, das Lieblingsspielzeug oder den klingelnden Paketboten geht.

Training beeinflusst Impulskontrolle – und Impulskontrolle beeinflusst Trainierbarkeit!

Je mehr spezifische Situationen Du als Hundehalter mit Deinem Hund übst, desto mehr Selbstkontrolle wird Dein Hund erlernen. Je mehr Selbstkontrolle Dein Hund beherrscht, desto trainierbarer und aufmerksamer wird er für Dich und gegenüber Dir.

Das Training von Impulskontrolle ist also ein klassischer Zirkelschluss für Dich und Deinen Hund.

Das bedeutet konkret: Zeigt sich Dein Hund in vielen Situationen ungehemmt, emotional übererregt und für Dich nicht ansprechbar, umso klarer muss Deine Zielstellung sein, woran Du explizit arbeiten willst. Du musst präzise, kleinschrittig, bewusst und konstant vorgehen.

Einen Impuls zu unterdrücken ist auch für uns Menschen nicht immer einfach.

Nicht nur Hunde kämpfen mit Selbstkontrolle. Wir haben damit auch unsere Schwierigkeiten und sind keineswegs jedes Mal erfogreich. Manchmal folgen wir eher unbewusst einem inneren Drang, manchmal geben wir einem Impuls wissentlich nach, weil der innere Schweinehund schließlich doch den Kampf um die Selbstbeherrschung gewonnen hat.

Sicher kennst Du folgende Beispiele aus unserem menschlichen Alltag und findest Dich an der einen oder anderen Stelle darin wieder:

  • die Chipstüte wirklich nicht ganz leer zu essen, weil man sich das für das nächste Mal vorgenommen hatte
  • die angekommene Whatsapp-Nachricht jetzt nicht sofort zu lesen, weil man beim gemeinsamen Essen mit Freunden sitzt
  • sich an das Tempolimit auf der Straße zu halten, obwohl man viel zu spät ist und zusätzlich noch jede Ampel auf dem Weg rot ist
  • auf die nächste spannende Folge der geliebten Streaming-Serie zu verzichten, weil man sonst morgens nicht aus dem Bett kommt
  • doch den Hausputz zu erledigen, obwohl gerade die beste Freundin einen spontanen Kinobesuch vorschlägt

Solche eigenen Erlebnisse dürfen wir Hundehalter uns fairerweise auch immer einmal wieder vor Augen halten, wenn wir genervt vom Verhalten unseres Hundes sind. Es ist nicht immer leicht.

Deine eigene Impulsivität kann negative Auswirkungen auf das Verhalten Deines Hundes haben

Es ist nicht immer ausschließlich der Hund, der sich schwer tut – es ist genauso oft der Hundehalter, der es seinem Vierbeiner schwer macht!

Ein Problem sind tatsächlich unsere eigenen – meist unbewussten oder unwillkürlichen – Handlungsimpulse gegenüber dem Hund. Die müssen wir uns für ein erfolgreiches Hundetraining bewusst machen und buchstäblich selbst oft genug erst einmal zu hemmen lernen.

Beim Impulskontroll-Training geht es nicht nur um die Selbstbeherrschung des Hundes, sondern auch um unsere eigene:

Wir verhindern das erfolgreiche Erlernen von Impulskontrolle unseres Vierbeiners manchmal ganz aktiv durch eigene Handlungen, weil wir uns selbst auch nicht zurücknehmen oder zurücknehmen können.

Die fehlende Beherrschung des Hundes ist dann seine unmittelbare Reaktion auf unsere eigene.

So wie es uns manchmal nicht gelingt, den Chips zu widerstehen, tun wir auch gegenüber Hunden häufig impulsiv Dinge, die ihnen das Lernen von Selbstkontrolle fast unmöglich machen können:

  • Du begrüßt z.B. Deinen Vierbeiner nach wie vor überschwänglich, statt ihn konsequent zu ignorieren – obwohl Du ihm eigentlich beibringen willst, bei Deiner Rückkehr endlich gelassener zu werden.
  • Du kündigst ihm stimmungsvoll an, dass ihr jetzt Gassi geht – obwohl Du ihn damit in so hohe Erwartungshaltungen katapultierst, dass er sich vor lauter Aufregung nun erst recht in die Leine schmeißt.
  • Du lobst ihn freudig mit quietschiger Stimme für das „Platz“ halten – mit dem Ergebnis, dass er nun aufgeregt aufspringt, statt weiter liegen zu bleiben.

Willst Du also an der Selbstbeherrschung Deines Hundes arbeiten, musst Du in speziellen Situationen vielleicht auch Deine eigene Handlungen hinterfragen.

Der Schlüssel für ein erfolgreiches Alltagstraining heißt: Üben! Üben! Üben!

Und zwar Üben für und in alltagsrelevanten Situationen. Wie oben erklärt, lassen sich Impulskontroll-Übungen eben nicht einfach so von einem Kontext in den anderen übertragen.

Soll also Dein Hund beispielsweise Besuch zukünftig nicht mehr anspringen, musst Du genau das sehr regelmäßig, explizit und bewusst trainieren. Es reicht nicht, so etwas zwei Mal im Monat nur gerade dann zu trainieren, wenn der Besuch schon vor der Tür steht.

Eine hohe und kontinuierliche Wiederholungsrate ist das, was Dein Training auf lange Sicht erfolgreich macht.

Was ist Frustrationstoleranz?

Frustrationstoleranz beschreibt die Fähigkeit, gut mit Enttäuschungen, nicht erfüllten Erwartungen, negativen Gefühlen und anderen Rückschlägen umzugehen.

Beispiele

  • Dein Hund darf seinen besten Hundekumpel auf der anderen Straßenseite heute gar nicht begrüßen, weil Du es eilig hast – und er kann gut damit leben
  • Dein Hund liegt im Restaurant ruhig neben dem Tisch und beschnüffelt weder vorbeigehende Menschen, noch bettelt er
  • Dein Hund bleibt ruhig Zuhause und kläfft nicht vor Frust die Nachbarschaft zusammen, weil Du ohne ihn ins Theater gehst
  • Dein Hund geht ruhig mit Dir an seiner gewohnten Spielwiese vorbei, obwohl dort gerade andere Hunde toben
  • Dein Hund hat gelernt, seinen Liebslingsfeind zu ignorieren, obwohl der ihn von gegenüber ziemlich unfreundlich anblafft

Für all diese Dinge muss Dein Hund Frust ertragen können. Dabei ist Frustrationstoleranz aber nicht einfach so etwas wie eine zeitlich verlängerte Impulskontrolle.

Um mit Frust gut umgehen zu lernen, muss Dein Hund die Erfahrung machen, dass er sich tatsächlich auch mal mit einer Situation abfinden muss.

Nur wenn wer die Lernerfahrung macht, wie sich Enttäuschung anfühlt und auch, dass dieses Gefühl später wieder vergehen wird, kann überhaupt Frustrationstoleranz entwickeln.

Frustrationstoleranz entsteht aus dem Erleben von Enttäuschungen, nicht erfüllten Erwartungen oder erlebten Niederlagen selbst. Das heißt:

  1. Frust auszuhalten lernt man nur, indem man die frustrierende Situation bis zum Ende durchstehen muss.
  2. Sich damit abfindet.
  3. Die Erfahrung macht, dass situativ negative Gefühl tatsächlich wieder von allein verschwinden.
  4. Dass dabei Zeit eine Rolle spielt.

Akzeptanz statt Aktivismus

Frust gut wegzustecken kann also von Deinem Hund nur gelernt werden, wenn Du ihn auch einmal frustriert sein lässt – und ihn der Erfahrung überlässt, dass dieses Gefühl nicht für den Rest seines Lebens anhalten, sondern von selbst (!) irgendwann wieder vergehen wird.

Holst Du Deinen Hund stattdessen bei jeder Kleinigkeit schon aus seinem Frusterleben heraus oder bietest ihm sofort eine Alternative an, kann er nicht lernen, mit frustrierenden Situationen umzugehen.

Es fehlt ihm der wichtige und entscheidende zweite Teil für sein Gefühlsrepertoire, dass an Frust gekoppelte Emotionen von alleine wieder nachlassen. Und dass er die Zeit abwarten muss, die es kostet, bis dieses Gefühl wieder verschwindet.

Frustration aushalten zu lernen, geht also weit über die reine, zeitlich eher kurzfristige, Impulskontrolle hinaus.

Das ist erst einmal nicht schön, aber langfristig hilfreich im Leben, um nicht schon wegen jeder kleinen Widrigkeit im Leben emotional durchzudrehen.

Was Impulskontrolle von Frustrationstoleranz unterscheidet

Wie kleine Kinder sind junge Hunde noch nicht gut in Selbstbeherrschung und im Frust aushalten.

Im Laufe der Entwicklung zum Erwachsenen sollten sich aber beide Fähigkeiten idealerweise durch (gezielte) Lernerfahrungen verbessern und sich später ergänzen können.

Ein ausführliches Beispiel aus der Menschenwelt:

Du hast mit Deinen besten Freunden eine Verabredung zu einem Konzert eurer Lieblingsgruppe. Nach und nach sagen im Laufe des Veranstaltungstages alle aus wichtigen persönlichen Gründen ab. Du bleibst als einzige oder einziger übrig.

Du bist darüber natürlich ziemlich enttäuscht und traurig oder sogar auch sauer, weil Du Dich auf dieses Event zusammen mit Deinen Freunden seit Monaten gefreut hast.

Mit 15 Jahren hättest Du vor Wut jetzt vielleicht Deine Konzertkarte zerrissen und einen Tobsuchtsanfall bekommen (ungehemmter Impuls).

Als Erwachsener zerreißt Du die Konzertkarte – hoffentlich –  nicht mehr (Impulskontrolle), bist aber natürlich trotzdem enttäuscht, traurig oder wütend. Aber Du weißt, dass Du an diesem Umstand gerade nichts ändern kannst und auch, dass Deine Freunde trotzdem noch immer Deine Freunde sind. Ihr werdet nur leider heute das Konzert nicht zusammen besuchen. (Frustrationstoleranz).

Du hast also von Kindheit an bis zum Erwachsenen einfach schon an vielen vorherigen Stellen in Deinem Leben die Erfahrung gemacht, dass ein situativ frustrierende Gefühl auch wieder verschwindet und nicht Dein gesamtes Leben oder bestehende Beziehungen für immer in Frage stellt:

Den Kinderriegel an der Supermarktkasse nicht zu bekommen ist – im übertragenen Sinn – der Beginn dafür, dass Du später nicht sofort jeden Job kündigst, sobald einmal jemand Kritik an Deiner Arbeit übt.

Und diese Erfahrungen sollten unsere Hunde auch machen dürfen.

Impulskontrolle gut – Frustrationstoleranz mangelhaft? Wie geht das denn?

Training zur Impulskontrolle ist im ersten Schritt zur Frustrationstoleranz natürlich hilfreich. Aber es kann sich –  unter bestimmten Voraussetzungen – auch zu einem absoluten Hemmschuh entwickeln. Und dann das Erlernen echter Frustrationstoleranz tatsächlich unmöglich machen.

Das hört sich im ersten Moment unlogisch an, ist es aber nicht.

    Das Problem mit dem Belohnungsaufschub!

    Die meisten Hundehalter beschränken sich bei Impulskontroll-Übungen leider tatsächlich auf den reinen Belohnungsaufschub.

    Das heißt nichts anderes, als dass Dein Hund etwas länger warten muss, bis er bekommt, was er möchte.

    Was beim Belohnungsaufschub am Ende aber immer steht: Die Belohnung – und die damit verknüpfte hohe Erwartung darauf!

    Bleiben wir noch einmal beim Beispiel Besuch und des ungewollten Anspringens, weil dieses Problem bei ganz vielen Hundehaltern ein Thema ist.

    Wenn Du mit Deinem Hund übst, dass er erst einmal bei Besuch auf seine Decke gehen und sich ruhig verhalten soll, dann musst Du zwingend das anschließende Verhalten mit ins Training einbeziehen:

    Im Ergebnis gehen viele Hunde nach entsprechendem Übungsaufwand natürlich auf ihre Decke – aber sie springen den Besuch danach oft genauso ungehemmt an, sobald sie von ihrem Platz wieder entlassen werden.

    Das Problem:

    Sie warten mit Anspannung auf die Auflösung und ihre Belohnung!

    Im ungünstigsten Fall springen sie dann sogar noch ungehemmter als zuvor, weil die Erwartungshaltung auf die erhoffte Bestätigung im Verlaufe des Wartens immer höher wird:

    Denn die ersehnte Belohnung für diese Hunde ist ja offensichtlich die Begrüßung als solche!

    Du hast in diesem Fall also nur geübt,  dass Dein Hund jetzt länger warten kann, bis er das von Dir unerwünschte Verhalten am Ende trotzdem zeigt.

    Damit hast Deinem Hund also durchaus ziemlich gut einen Aspekt der Impulskontrolle – nämlich den Belohnungsaufschub – beigebracht. Er macht hier tatsächlich gar nichts falsch.

    Was Du aber nicht erreicht hast, ist Dein gewünschtes Trainingsergebnis für Besuchssituationen.

    Und dieser Erfolg wird sich vermutlich auch nur schwer bis unmöglich einstellen, wenn Du weiterhin ausschließlich mit dem Belohnungsaufschub arbeitest und trotzdem ein anderes Ergebnis erwartest.

    Eine erfolgreiche Impulskontrolle beinhaltet, wie oben dargestellt, im Ergebnis weit mehr als „nur“ den einseitigen Belohnungsaufschub: Nämlich auch die Hemmung bereits erlernter Verhaltenmuster und die Verhaltensflexibilität.

    Wenn Frustrationstoleranz gemeint ist, aber nur Belohnungsaufschub geübt wird

    Die meisten Hundehalter möchten, meiner Erfahrung nach, am Ende ihres Trainings tatsächlich mehr Frustrationstoleranz erreichen und nicht nur eine kurzfristige situative Impulskontrolle.

    Dieses Ziel ist aber nur erreichbar, wenn Du als Hundehalter weißt, dass Frustrationstoleranz und Impulskontrolle eben nicht identisch sind.

    Das heißt: Werden als frustrierend empfundene Situationen am Ende immer durch Belohnung „entschädigt“, kommst Du als Hundehalter nie in der echten Frustrationstoleranz an. Du bleibst in der (zeitlich) kürzeren Impulskontrolle. Dein Hund macht nie die wichtige Erfahrung, eine frustrierende Situation auch einmal bis zum Ende aushalten und sich abfinden zu müssen.

    Dein Hund wird über den reinen Belohnungsaufschub also sehr wahrscheinlich nicht lernen, mit unerfüllten Erwartungen gelassen umzugehen, denn diese Erwartungshaltung wird ja gerade aufrecht erhalten.

    Das ist so, als würden wir unser Kind für den Verzicht des Schokoriegels an der Supermarktkasse unmittelbar danach mit dem Mandelhörnchen von der Bäckertheke belohnen. Und auch belohnen müssen, damit es zumindest an der Kasse keinen Aufstand macht.

    Das macht natürlich kein Mensch so. Zurecht auch nicht, weil das Ziel nicht kurzfristige Impulskontrolle, sondern langfristig Frust aushalten können ist.

    Das Lernziel ist ja gerade nicht:

    Halte Dich beim Schokoriegel nur zurück, bis ich Dir in zwei Minuten dann das Mandelhörnchen kaufe. Denn dann müsste ich das Mandelhörnchen auf jeden Fall trotzdem kaufen und hätte das Problem mit dem Schokoriegel nur zeitlich nach hinten verlagert.

    Menschen tun aber genau das mit Hunden ständig und wundern sich, warum sie in der Erziehung und im Training nicht so recht ans Ziel kommen.

    Impulskontrolle ist der Anfang – gute Frustrationstoleranz das Ende eines erfolgreichen Alltagstrainings

    Für den Alltag zu trainieren bedeutet, dass Du – je nach Alter und Hundetyp – klein anfängst und Reize und Situationen dosiert, aber regelmäßig übst.  Es heißt aber auch, dass Du irgendwann den Schritt von der Impulskontrolle zum echten Frust ertragen mit Deinem Hund machen musst.

    Ein Hund, den Du nach 2 Jahren Trainings zwar mit der Aussicht auf Kekse an Artgenossen vorbei bekommst, ohne aber nicht – der kann Belohnungsaufschub. Aber sehr wahrscheinlich immer noch keinen Frust ertragen.

    Ein Hund, der bei Radfahrern nach viel Training angespannt „sitz“ machen kann, aber bis heute nicht einigermaßen ruhig weiter gehen kann, hat immer noch eine keine hohe Frustrationstoleranz. Trotzdem hat er natürlich Impulskontrolle bis zu einem gewissen Grad erlernt.

    Ziele definieren!

    Willst Du an Impulskontrolle und Frustrationstoleranz arbeiten, brauchst Du klare Ziele.

    Du musst Dir einen Plan machen, für welche Alltagssituationen in Deinem Leben Du Ansprechbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Gelassenheit bei Deinem Hund brauchst. Und dann musst Du genau das regelmäßig üben.

    Auf Erwartungshaltungen und den Belohnungsaufschub achten

    Ist Frust ertragen können Dein erklärter Wunsch, dann achte darauf, dass der reine Belohnungsaufschub hier dauerhaft nicht zielführend ist.

    Beachte dabei: Belohnung ist alles, was Dein Hund gerne haben möchte – und das ist ganz oft gar nicht das Leckerchen oder ein Spielzeug.

    Hinterfrag also im Training auch, ob Du nicht gerade doch mit einem Belohnungsaufschub bei gleichzeitig bestehenbleibender hoher Erwartung arbeitest.

    Das Beispiel mit der Besuchssituation von oben steht dabei nur stellvertretend für viele andere Gegebenheiten.

    Auch der Hund, der erst sitzen und Dich angucken soll, damit er nicht so ungestüm zum Artgenossen rennt, lernt so nicht zwangsläufig, sich ruhiger dem anderen zu nähern. Denn auch hier ist die echte Belohnung für viele Hunde das Losstürmen und die Kontaktaufnahme – und nicht das Leckerlie, das er noch für das eben gezeigte sitzen bleiben bekommen hat.

    Eine gute Selbstbeherrschung und Frustrationstoleranz erhöht die Lebensqualität

    Hunde mit guter Selbstkontrolle und der Fähigkeit, sich auch einmal mit Frust abzufinden, haben eine höhere Lebensqualität:

    Sie können besser mit Stress umgehen, verfügen über mehr emotionale Selbstregulation und sind im Alltag deutlich anpassungsfähiger.

    Aus diesem Grund solltest Du schon mit dem Welpen gezielt an der Impulskontrolle arbeiten und ihn auch immer einmal wieder kurzen, frustrierenden Sitautionen aussetzen. Die Grundlagen für einen möglichst entspannten Alltag legst Du nämlich genau in diesem Alter am einfachsten.

    Lesenswert der Blog von StarkeKids:

    Übersozialisierung beim Welpen als Ursache für spätere Probleme

    Übersozialisierung beim Welpen als Ursache für spätere Probleme

    Aufregung, Nervosität und schlechte Trainierbarkeit: Wenn ein Übermaß an Sozialisierung viele Probleme erst schafft!

    Ein Welpe muss sozialisiert werden. Das bedeutet, er soll an die sogenannte „belebte Umwelt“ wie andere Menschen, Tiere und Artgenossen gewöhnt und angstfrei herangeführt werden.

    Das Ziel: Der Welpe soll zu einem sozialverträglichen erwachsenen Hund heranwachsen, ein gefestigtes Wesen entwickeln und sich sicher in seiner Umwelt bewegen.

    Dabei soll eine angemessene Sozialisierung vor allem dafür sorgen, dass ein Hund später wenig bis keine Probleme im Umgang mit Menschen, Artgenossen oder anderen Tieren hat und sich nicht unangepasst aggressiv oder sogar angst-aggressiv verhält.

    Eine gute Sozialisierung soll also prophylaktisch sowohl dem Welpen in seiner weiteren Entwicklung nutzen als auch andere vor Gefahren schützen, die von einem nicht oder nicht ausreichend sozialisierten Hund ausgehen können.

    Das Problem: Viel ist nicht gleich gut und gut gemeint nicht immer gut gemacht!

    In vielen Hundebüchern oder Hundeforen liest man, der Welpe müsse an so viele neue Reize wie möglich gewöhnt werden. Damit er nachher keine Probleme entwickelt.

    Das stimmt jedoch nur bedingt.

    Die Sozialisierungsphase ist bei Hunden zeitlich begrenzt. Sie geht von der 4. Lebenswoche, beginnend beim Züchter, nur etwa bis zur 16. bis max. 18. Lebenswoche (rasseabhängig).

    Das verführt natürlich dazu, den Welpen nach seiner Ankunft mit 8 bis 10 Wochen sehr schnell und häufig in alle möglichen Kontakt-Situationen zu bringen, weil man man ihn schließlich in der Kürze der Zeit so umfassend und gut wie möglich sozialisieren will.

    Die Crux an der Sache: Die Dosis macht das Gift – und zwar zu zwei Seiten!

    Machst Du zu wenig, kann Dein Hund Probleme entwickeln. Machst Du zu viel, entstehen oft ebenso lebenslange Schwierigkeiten. Inklusive Aggressionsverhalten – und zwar gar nicht so selten!

    Übersozialisierung als Grund für ganz viele spätere Verhaltensprobleme

    Ein nicht unerheblicher Teil der Hunde, die ich in meinem Job als Hundetrainerin treffe, sind nicht zu wenig sozialisiert. Sie wurden als Welpen schlicht übersozialisiert.

    Das zeigt sich häufig darin, dass die genannten Hunde sich kaum bis gar nicht mehr konzentrieren können, sobald andere Menschen oder Artgenossen in Sichtweite kommen, jedem „guten Tag“ sagen wollen, ungehemmt anspringen oder nachher völlig gefrustet sind, wenn sie nicht sofort überall  (und zu ihren Bedingungen) Kontakt aufnehmen dürfen.

    Das geht oft einher mit Leinengezerre, manchmal sogar aggressivem Verhalten oder Gejaule, Bellen und dem Unvermögen, sich auch nur eine einzige Sekunde ruhig zu verhalten, sobald sich aus ihrer Sicht ein spannender Reiz anbietet.

    Das kann sich gerade im städtischen Umfeld zu einem echten Problem auswachsen – wenn Du im Zweifel nämlich gar nicht mehr in Ruhe das Haus verlassen kannst, weil sich Dein Hund von jedem anderen vorbeikommenden Zwei- oder Viebeiner zur Kontaktaufnahme animiert fühlt.

    Gut trainierbar sind diese Hunde dann oft für ihre Halter nicht mehr; denn der Vierbeiner ist in stetiger Erwartungshaltung auf äußere Reize und nicht mehr in der Lage, sich auf seinen Besitzer zu konzentrieren.

    Übersozialisierung ist ein großes Thema, auf das ich hier bei uns im städtischen Bereich mindestens genauso häufig treffe wie auf den zu wenig sozialisierten Hund.

    Wie kommt es zur „Übersozialisierung?

    Eine Übersozialisierung entsteht klassicherweise durch 4 Punkte:

    • Zu früh zu viele Reize: Wenn Dein Welpe bei Dir ankommt, hat er erst einmal ein viel wichtigeres Bedürfnis als zusätzliche Reize. Er muss Dich kennenlernen, seine neue Umgebung und vor allem lernen dürfen, dass Du sein Fels in der Brandung und sein sicherer Hafen bist. Du kannst ihn nur entspannt an neue Situationen gewöhnen, wenn er zunächst eine gute Bindung und Beziehung zu Dir eingehen konnte. Das geht nicht innerhalb von ein paar Tagen und er braucht erst einmal Zeit mit Dir und Deiner Familie allein – ohne Nachbarn, die ganze Verwandtschaft und Hundebesuch von Freunden.
    • „Sozialisierung“, wo keine Sozialisierung nötig ist: Du bekommst einen Welpen, der schon super aufgeschlossen mit Menschen und/oder anderen Hunden ist. Ein Welpe, der mit seinem Einzug bei Dir schon zeigt, dass er immer und ständig Kontakt zu fremden Menschen oder Hunden aufnehmen will, den musst Du nicht mehr sozialisieren. Den wirst Du an dieser Stelle stattdessen oft schon bremsen und ihm vermitteln müssen, dass er nicht freiverwaltet überall hinlaufen darf und soll.
    • Typische Rasseeigenschaften: Hast Du Dich für eine Rasse entschieden, die für ihre Extrovertierheit und Kontaktbereitschaft bekannt ist (z.B. Labrador, Golden Retriever, z.T. auch französische Bulldoggen) und sich Dein Welpe schon sehr schnell sehr aufgeschlossen und aufgeregt gegenüber anderen Menschen oder Artgenossen zeigt, solltest Du das auch nicht durch zahllose weitere Kontakte fördern. Du triggerst in diesem Fall lediglich genetisch ohnehin schon vorhandene Eigenschaften und sorgst dafür, dass Du sie nachher nicht mehr kontrollieren kannst.
    • Gelernte Aufregung: Verbindet Dein Welpe andere Menschen oder Artgenossen mit regelmäßiger und übermäßiger Aufregung, dann lernt sein Gehirn auch genau das. Und diese Verknüpfung lernt sein Gehirn dann dummerweise ebenso auch und gerade in der sensiblen Phase der Sozialisierung. Das heißt: Es ist genauso schwierig, einem „übersozialisierten“ Hund die Aufgeregtheit wieder abzutrainieren wie einen ängstlichen und zu wenig sozialiertem Hund Ängste oder Unsicherheiten zu nehmen. Da wird – trotz besten Trainings – später i.d.R. immer etwas zurück bleiben.

    Stadt versus Land

    Es ist ein Unterschied, ob Du in der Stadt oder auf dem Land lebst.

    Wohnst Du mitten in der Großstadt wie bei uns in Bremen, dann geht es bei den meisten Welpen nicht darum, ihnen ständig neue Kontakte zuzuführen:

    Du triffst, sobald Du das Haus verlässt, sowieso alle paar Minuten auf Passanten, die Deinen Welpen ansprechen und begrüßen wollen. Du triffst auch permanent auf andere Hunde.

    Es wäre also Quatsch, Deinen Welpen all diese Kontaktmöglichkeiten wahrnehmen zu lassen, wenn Du später einigermaßen entspannt mit Deinem Hund unterwegs sein willst.  Ausgewählte Kontakte sind völlig in Ordnung, eine Masse an Kontakten an jeder Straßenecke können sich jedoch später als problematisch herausstellen.

    Lebst Du eher abgeschieden auf dem Land, macht es sicher eher Sinn, Deinem Hund gezielt und ausgewählt Menschen- und Hundekontakte zu ermöglichen.

    Es ist ein Unterschied, ob Du drei Mal in der Woche auf einen anderen Hund triffst oder bei jedem einzelnen Gassigang auf zehn bis zwanzig.

    Standing beweisen

    In der Stadt wirst Du Dich ernsthaft darin beweisen müssen, die meisten Kontakte abzuweisen.

    Das fängt bei jedem Passanten an, der Deinen Welpen anspricht und anfassen will bis hin zu Hundehaltern, die für „ihren“ Hund ständig Kontakt zu Deinem suchen.

    Letzteres in der Regel mit dem Argument, dass auch Du Deinen Welpen ja sozialisieren musst…

    Guck Dir diese Leute sehr genau an – es sind meist die, die den in diesem Artikel beschriebenen „übersozialisierten Hund“ haben.

    Übersozialisiert heißt nicht gut sozialisiert

    Ein übersozialisierter Hund ist mitnichten gut sozialisiert. Er kann sich genauso wenig wie ein zu wenig sozialisierter Hund angepasst verhalten.

    Ein übersozialisierter Hund steckt so voller eigener (aktiver) Erwartungshaltungen, dass er sich an das Gegenüber nicht mehr anpassen und dessen Kommunikation in seine Annäherung mit einfließen lassen kann. Er beachtet die Signale des anderen oft einfach nicht mehr.

    Es ist also nicht besser, wenn ein Hund völlig hysterisch alle Menschen vor Freude umschmeißt oder Artgenossen ohne Rücksicht auf Verluste über den Haufen rennt, als wenn ein Hund eine unbedachte und unwillkürliche Bewegung eines Menschen als angsteinflößend oder sogar als Bedrohung einstuft.

    Auch ein übersozialisierter Hund zeigt übrigens ziemlich häufig Aggressionsverhalten, mit dem sein Halter zu kämpfen hat:

    Frust, weil der Hund nicht sofort jedem Impuls nachgeben darf, führt häufig zur klassischen Leinenaggression oder zum aggressiven Ablassen von Fustration an Artgenossen, sobald der eigene Hund dann doch in Kontakte entlassen wird.

    Den Problemen, die eine Übersozialisierung mit sich bringt, kannst Du aber als Hundehalter viel eher entgegen steuern.

    Übersozialisierung ist eine Form von Sensitivierung

    Sensitivierung bedeutet, dass Dein Hund auf kleinste Reize anspringt. Sensitivierung kann durchaus rassegenetisch bedingt sein, wird aber in der Regel im weiteren durch Umwelt- und Lernfaktoren weiter beeinflusst und gesteigert.

    Du solltest also sehr klar beobachten und reflektieren, welche Reize Deinem Welpen gut tun und welche nicht. Was ihm nicht gut tut, wird er sich nämlich genauso abspeichern.

    Sensitivierung als Problem bei unsicheren Hundetypen

    Hast Du einen Welpen, der von seiner Persönlichkeitsstruktur schon eher zur Unsicherheit neigt oder einen, der im Sozialisierungsprozess noch Nachhilfe benötigt, musst Du wirklich vorsichtig vorgehen.

    Auch solche Hundewelpen profitieren keinesfalls davon, dass sie so schnell wie möglich so viel wie möglich kennenlernen müssen.

    Das wird stattdessen eher dazu führen, dass Du sie auf angstmachende Reize „übersensibilisierst“:

    Lass also zunächst den Welpen ankommen, Dich kennenlernen und dann führ in Schritt für Schritt an das heran, was in eurem Alltag wichtig ist.

    Es muss kein Welpe in den Zoo, um mal einen Elefanten gesehen zu haben. Es muss kein Welpe Straßenbahn fahren, wenn Du das sowieso nicht tust. Es muss kein ängstlicher Welpe das hündische „Hau-drauf-Pendant“ kennenlernen, um Selbstvertrauen zu lernen. Vermutlich wird er dadurch eher traumatisiert. Zumindest kannst Du kaum voraussagen, wie das Ergebnis bei Deinem Hund sein wird.

    Gut Ding will Weile haben: Beziehungen müssen wachsen

    Hat Dein Hund mit Dir gelernt, dass er sich ernsthaft auf Dich verlassen kann, ist es im Zweifel egal, ob er seine erste Busfahrt mit Dir erst ein Jahr später macht oder wann Du ihn mit in den Zoo, auf die Fähre oder sonst wohin mitnimmst.

    Das hat am Ende nicht unbedingt etwas mit „Sozialisierung“ zu tun, sondern damit, ob Dir Dein Hund vertraut.

    Ich bin mit all meinen ängstlichen Tierschutzhunden, die nichts kannten, irgendwann einfach Bus, Bahn und Fähre gefahren. Weil es für sie selbstverständlich war, dass man hingehen kann, wo ich hingehe.

    Ich habe das nicht geübt. Ich habe ihnen nur die Zeit gelassen, mich kennenzulernen und zu verstehen, dass meine Entscheidungen in Ordnung sind – und ich zu ihren Gunsten regeln werde, wo sie meine Unterstützung benötigen.

    Sozialisierung und Vertrauensbasis

    Soziaslisierung sollte also nicht allein bedeuten, dass Du Deinen Welpen an so viele Reize wie möglich heranführst.

    Sozialisierung sollte vor allem beinhalten, dass Dein Welpe Dir zu vertrauen lernt:

    Du kannst ihn nämlich gar nicht entspannt an alle relevanten Reize in den wenigen Wochen heranführen, die euch im späteren Leben begegnen werden.

    Sozialisierung heißt deshalb an erster Stelle, dass Dein Welpe Dich als handlungsfähigen und verlässlichen Sozialpartner kennenlernt und Du ihm dann relevanten Dinge für euren Alltag zeigst.

    Das gilt auch für den überfreundlichen Hund, der sich – absehbar – später nicht mehr im Griff haben könnte: Es ist Deine erzieherische Entscheidung, das so früh wie möglich in lenkbare Bahnen zu leiten.

     

    Rückruf: Die 7 Elemente!

    Rückruf: Die 7 Elemente!

    Kommt er – oder kommt er nicht?

    Der zuverlässige Rückruf aus allen Lebenslagen ist einer der größten Wünsche der meisten Hundehalter. Dem Rückruf Folge zu leisten ist allerdings für den Hund eine ziemlich komplexe Sache und beinhaltet viel mehr als einfach nur auf Zuruf oder Pfiff zum Menschen zurückzulaufen.

    Dazu kommt, dass es für unsere Vierbeiner kein wirklich hündisches Äquivalent zum Rückruf gibt:

    Hunde untereinander verfügen über kein explizites Lautmerkmal oder eine explizite körpersprachliche Geste, was dem anderen Artgenossen mitteilt, er solle sofort und ohne zu zögern schnell und dicht zu dem „Rufenden“ herankommen.

    Ganz anders ist das z.B. bei Abbruchsignalen, wo der Hund im Gegensatz zum Abruf etwas nicht tun soll.  Also wie beim menschlichen Abbruchsignal „nein“, wo ein Hund ziemlich schnell lernen kann, dass er etwas nicht oder nicht so tun darf, wie es ihm gerade einfällt, weil es entsprechend ähnliche Abbruchsignale schlicht auch unter Hunden gibt:

    Knurren mit Zähne zeigen und Drohfixieren bei entsprechender Körperhaltung ist dabei ein klassisches Beispiel, was ziemlich gut verständlich vom Mensch adaptiert werden kann und vom Hund dann auch entsprechend zügig verstanden wird. Dabei muss man als Mensch natürlich nicht unbedingt selbst „Knurrlaute mit gebleckten Zähnen“ von sich geben, aber ein strenges, grollendes Nein mit tiefer Stimme geht schon ziemlich in die selbe Richtung.

    Das hat natürlich unter anderem dem Grund, dass diese Form der Kommunikation fast im gesamten Tierreich (inkl. uns Menschen) artübergreifend präsent ist:

    Das gilt sowohl für die Schlange, die sich zischend und drohend aufrichtet als auch für die fauchende Katze, die sich mit gesträubtem Fell und gekrümmtem Buckel in Verteidigungshaltung begibt oder für uns Menschen, wenn wir einen zielgerichteten Schritt mit gleichzeitigem Blickkontakt ins Gesicht auf jemanden zu machen, um ihn von etwas abzuhalten oder in seinem Tun zu unterbrechen.

    Zwar gibt es im Tierreich durchaus auch innerartliche Warnlaute, die die eigene Gruppe/Familie zusammenrufen sollen, aber die haben weder die Funktion noch den Ursprung, den wir Menschen schlussendlich mit einem sicheren Rückruf für unsere Hunde etablieren wollen:

    Jeder kennt bestimmt die Entenmutter, die mit lauten Geschnatter ihre Küken zu sich ruft, wenn ein potenzieller Fressfeind auftaucht. Also unser Hund zum Beispiel.

    Das ist aber eben nicht vergeichbar mit einem auftrainierten Rückruf – unser Kind würden wir schließlich auch nicht mit einem fröhlichem „Komm“ in unsere Richtung dirigieren, während es nur millimeterweit davon entfernt ist, den nächsten Schritt auf die vielbefahrene Autostraße zu setzen…

    Will ich als Hundehalter meinem Hund also einen sicheren Rückruf beibringen, muss ich mir selbst an 1. Stelle darüber bewusst sein, dass wir beim Abrufen vor allem über ein Trainingskonzept mit unserem Vierbeiner sprechen, das ihm Inhalte vermitteln soll und  keine echte Entsprechung in seinen natürlichen Verhaltensweisen hat. Der Rückruf liegt ihm also nicht zwangsläufig  im Blut. Ein Warnruf gegebenenfalls aber vielleicht schon…

    Kurz gesagt: Mit dem Rückruf willst Du Deinem Hund beibringen, auf ein konditioniertes Signal hin (Ruf oder Pfiff) sofort und dicht zu Dir heran zu kommen. Und zwar, obwohl dieses Kommando für ihn aus hündischer Sicht eigentlich keinen Sinn macht. Meist soll er nämlich mit etwas aufhören, was ihm gerade echt Spaß bereitet oder ihm aus anderen Gründen derzeit wichtig ist.

    Der Rückruf beim Hund ist eine komplexe Handlungskette

    Willst Du Deinem Hund also einen verlässlichen Rückruf beibringen, musst vor allem Du als Hundebesitzer wissen, was Dein Hund dabei alles unsetzen können muss. Denn wenn Du das nicht weißt, wirst Du ihm auch keinen guten Abruf beibringen können.

    Ein sicherer Rückruf beinhaltet insgesamt 7 Elemente:

    (1) Der Hund hört sofort mit allem auf, was er gerade tut. (2) Er dreht sich in Richtung seines Menschen und setzt sich (3) danach in Bewegung zu ihm. Das ganze macht er mit (4) Tempo, (5) ohne Unterbrechung, (6) landet bei seinem Halter und (7) bleibt dort, bis er andere Informationen bekommt.

    Was bedeuten die 7 Elemente des Rückrufs genau?

    Anhand eines alltäglichen Beispiels, das vielen Hundehaltern leidlich bekannt ist, erkläre ich Dir nun alle 7 Elemente einmal ganz lebensnah.

    Der Rückruf aus dem Spiel mit anderen Hunden:

    • (1): Mit allem aufhören,was Dein Hund gerade tut. Er muss also sofort das Spiel mit Artgenossen abbrechen; die Kommunikation und Interaktion mit ihnen unterbrechen und innerhalb von Sekunden selbsttätig eine Handlung unterlassen, die ihm aktuell großen Spaß bereitet!
    • (2): Sich in Deine Richtung drehen. Dein Hund muss nicht nur mit allem aufhören, das ihm Freude macht, er muss sich im Anschluss auch aktiv in Deine Richtung drehen. Tut er das nicht, kannst Du ziemlich sein, dass er bestenfalls den Spaß zwar noch kurz unterbrochen hat, danach aber weiter machen wird.
    • (3): Er muss sich in Deine Richtung in Bewegung setzen. Guckt er nach Deinem Rückruf-Kommando nur kurz, macht aber keine Anstalten, in Deine Richtung zu kommen, wird er sich sehr wahrscheinlich wie unter Punkt 2 im Anschluss einfach wieder dem Spaß zuwenden.
    • (4): Dein Hund soll sich mit Tempo in Deine Richtung bewegen. Tempo ist ernsthaft (!) wichtig für einen verlässlichen Rückruf, weil es das Bindeglied für die Punkte 1, 2, 3 und den anschließenden Punkt 5 ist!
    • (5): Dein Hund soll mit Tempo und ohne Unterbrechung zu Dir laufen. Denn nur ein Hund, der mit Tempo kommt, wird sich auf dem Rückweg nicht noch andere Dinge überlegen – also z.B. zu den spielenden Artgenossen zurück zu rennen. Das bedeutet: Die Punkte 1, 2, 3, 4 und 5 müssen für einen sicheren Rückruf kurz nacheinander geschaltet und fließend ineinander übergehen. Im Umkehrschluss wird ein Hund, der nicht mit Tempo kommt, sehr wahrscheinlich auch schon bei den vorhergehenden Punkten eher unzuverlässig sein oder spätestens bei Punkt 5 abbrechen, wenn ihm der Sinn doch nach etwas anderem steht.
    • (6) Bei Dir ankommen. Dein Hund soll wirklich bei Dir ankommen, nicht vorbei rennen, nicht kurz vorher stoppen und danach doch wieder eigene Sachen machen. Dieser Punkt ist wiederum klar verbunden mit dem letzten, nämlich für einen Moment bei Dir zu verbleiben.
    • (7) Dein Hund soll nicht nur bei Dir ankommen, sondern auch bei Dir bleiben und auf weitere Informationen warten. Er soll also nicht nur im Vorbeifliegen ein Käsestück aus Deiner Hand schnappen und mit einer scharfen Kurve wieder woanders hinrennen – also zu seinen spielenden Kameraden -, sondern darauf warten, was Du ihm als nächstes mitteilst. Und wenn es passt, kannst Du ihn danach auch gerne wieder ins Spiel schicken.

    Diese 7 Elemente gelten für den Aufbau eines guten Rückrufs immer!  Es ist egal, womit Dein Hunde gerade beschäftigt ist. Ob es nun das Spiel ist, das Losstürmen nach einer Krähe oder einem Kaninchen, ob er sich gerade bereit machen will, einem Artgenossen die Meinung zu geigen. Das ist im Ergebnis eine sehr große Lernleistung für den Hund.

    Willst Du Deinem Hund also einen verlässlichen Rückruf beibringen, musst Du auf alle 7 Punkte achten. Je nach Hund und Hundetyp kann es auch sein, dass Du sie alle seperat & ziemlich akribisch einzeln eintrainieren und dann zur gewünschten Handlungskette zusammenfügen musst.

    Hinweis:

    Es ist aus meiner Erfahrung tatsächlich viel einfacher, Hunden ein STOPP! mit Vollbremsung beizubringen als den verlässlichen Rückuf! Der Hund muss nämlich beim Stopp nichts anderes tun, als einfach stehen zu bleiben. Das sind genau nur zwei Elemente einer Handlungskette:

    • (1): Aufhören, mit allem, was er tut
    • (2): Stehen bleiben. Und diese beiden Punkte bedingen sich eigentlich ohnehin schon fast gegenseitig…

    Das gilt insbesondere für Hunde, die schon gelernt haben, dem Rückruf nicht zu folgen!

    Hast Du also schon Probleme beim Rückruf und willst ihn verbessern, ist es umso wichtiger für Dich zu verstehen, an welchen Stellen Du und Dein Hund Schwierigkeiten haben. Denn nur wenn Du den Punkt/die Punkte kennst, wirst Du das erfolgreich verändern können!

    Fallstricke im Aufbau des Rückrufs beim Hund

    Bestenfalls bist Du Dir von Anfang an über die oben genannten 7 Elemente bewusst und gestaltest Dein Rückruftraining entsprechend.

    Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Du Deine Körpersprache an Deinen Hund anpasst: Frontales stehen und rufen sorgt bei vielen Hunden eher dafür, dass sie nicht, langsam oder nur zögerlich kommen. Vor allem im Aufbau des Rückrufs, weil Du dann aus Hundesicht eher ein Drohverhalten einnimmst – und das bedeutet, Dein Hund soll auf Abstand bleiben (siehe oben unter Abbruchsignale und auch in meinem Blogartikel Führung übernehmen). Genau auf diesem Wege bringen leider viele Hundehalter ihrem Vierbeiner schon vom 1. Tag an sehr nachdrücklich bei, dass er später niemals mit Gescwindigkeit kommen wird…

    Ein zusätzlicher Stolperstein ist, dass Du Dein Rückruf-Kommando bestenfalls noch gar nicht im Alltag benutzen solltest, solange Du es Deinem Hund nicht verlässlich genug beigebracht hast:

    Benutzt Du Dein Rückruf-Signal nämlich ständig, obwohl Dein Hund die 7 Elemente noch gar nicht verlässlich miteinander verknüpft hat, und rufst ihn z.B. jedes Mal, wenn er gerade zu anderen Artgenossen abgedampft ist, lernt er stattdessen oft 2 ganz andere Dinge – erstens, dass Dein Rückruf für ihn nicht bindend ist und zweitens, dass Dein Ruf im Zweifel den Startschuss zum Losrennen markiert.

    Das heißt, Du verbrennst Dir Dein Rückruf-Kommando auf diesem Weg sehr wahrscheinlich schon selbst im Trainingsaufbau. Dein Hund und Du haben im ungünstigsten Fall nachher vielleicht sogar zwei völlig unterschiedliche Auffassungen von der inhaltlichen Bedeutung des Rückrufs. Dieses Auseinandergehen über die eigentliche Aussage eines Kommandos ist übrigens ein absolut gängiges Alltagsproblem zwischen Hund und Halter. Nicht nur beim Rückruf.

    Wie das beim Hund aussehen kann, wenn Du Signale verwendest, die Dein Hund nocht nicht gut genug kennt und welche folgenschweren Assoziationsketten daraus entstehen können, kannst Du Dir übrigens in meinem Videobeitrag bei Facebook zum Thema Jagdverhalten anschauen.

    Das sog. „Schlamper-Signal“:

    Such Dir insbesondere für die Trainingsphase des Aufbaus, für den Alltag und wackelige Situatonen ein zusätzliches Signal zum Rückruf aus. Du wirst Deinen Hund – seien wir ehrlich und lebensnah – natürlich auch rufen oder mal rufen müssen, obwohl Du nicht garantieren kannst, dass er kommen wird!

    Bei mir und meinen Hunden ist das Schlamper-Signal „Komm“ oder ein spezieller Pfiff. Dabei sollen die Hunde natürlich schon kommen, es ist aber ein Übergangs-Kommando. Das benutze ich bis zu der Zeit alternativ in Situationen, wo ich weiß, dass der Rückruf noch in die Hose gehen könnte.

    Der Vorteil ist: Du machst Dir nicht von Beginn an schon Deinen sicheren Abruf kaputt, weil der Hund eben gerade nicht oder nicht so zurück kommt, wie Du es mit dem verlässlichen Abruf als Ziel hast. Zudem kannst Du nachher oft alle Kommandos quasi wahllos nutzen, sobald Dein Hund die gesamte Handlungskette des Rückrufs verinnerlich hat:

    Für all meine Hunde spielt und spielte es nachher keine große Rolle mehr, ob ich „komm“oder „hier“ gerufen oder ob ich gepfiffen habe: Die Schlamper-Signale waren zum Schluss fast genauso zuverlässig wie der ernsthafte Rückruf.

    Gibt es denn jetzt den 100%igen Rückruf?

    Die ehrliche Antwort ist NEIN.

    Den gibt es genau so wenig, wie Du auf Deiner Arbeit versichern kannst, niemals einen Fehler zu machen.

    Den gibt es genau so wenig, wie Du Deiner Frau, Deinem Mann oder Deinen Kindern zusichern kannst, dass es zwischen euch niemals Missverständnisse oder Konflikte geben wird.

    Das, was Du Dir vornehmen kannst ist, so wenig Fehler wie möglich zu machen und so gut es geht, Missverständnisse auszuräumen oder Konflikte nicht bis zum Ende eskalieren zu lassen.

    Du wirst in die Situation kommen, wo Dein Hund – trotz besten Rückruftranings – sich trotzdem einmal anders entscheidet. Es wird es Dir aber einfacher machen, sowas zur Ausnahme zu erklären, wenn Du eben genau um die 7 Elemente des Rückrufs weißt. Es wird Dir schlicht in der Summe umso weniger passieren, je sauberer Du den Rückruf für Deinen Hund von Beginn an aufbaust.

    Und vor allem gilt als wichtiger Tipp: Lein Deinen Hund nicht in Situationen ab, in denen er sich tatsächlich schnell vergessen könnte! Also beispielsweise in wildreichem Gebiet, in der Dämmerung oder nachts oder wenn Du an einer bekannten Hundespielwiese vorbei kommst. Sowas geht zu oft in die Hose und bringt noch einen gravierenden Nachteil mit sich – Dein Hund lernt trotzdem was!  Nämlich dass er den Rückruf nach eigenem Ermessen ignorieren kann…

    Zu einem guten Rückruftraining gehören i.d.R. im Ergebnis tatsächlich oft auch Abbruchsignale:

    Es mag sicherlich Hunde geben, die rein über eine Super-Belohnung in Verbindung mit einem sauberen Aufbau des Rückrufs gelernt haben, wirklich aus jeder Situation sofort zurück zu kommen.

    Es gibt aber auch genug Hunde, denen Deine Super-Belohnung am Ende ziemlich schnurz ist, wenn es ihnen wichtiger ist, das Karnickel zu jagen, ungefragt ins Hundespiel abzudampfen oder Bello von nebenan die Visage neu zu gestalten.

    Da wirst Du im Zweifelsfall nicht drum herum kommen, Dir schon bei Punkt 1 des Rückrufs Gedanken darüber zu machen, ihn zuerst selbst aktiv via Abbruchsignals in einer Handlung zu unterbrechen, damit Du überhaupt bei Punkt 2 und 3 ankommst.

    Hat Deine Beziehung zum Hund Einfluss auf das Rückruftraining?

    Ja, zumindest kann sie das haben.

    Vor allem bei den 3 ersten Punkten der Handlungskette des Rückrufs:

    Ein Hund, der Dir schon im Alltag nicht zuhört, auf seinen Namen nur nach eigenem Ermessen reagiert und auch ansonsten dafür sorgen kann, dass Deine Entscheidungen jederzeit verhandelbar sind, der hat schlicht keinen Grund mehr, den Rest der Handlungskette zum Rückruf noch auszuführen. Unabhängig davon, wie gut Du die einzelnen Punkte mit lecker Leberwurst trainiert hast.

    Das beudeut konkret: Obwohl es in der Hundesprache kein entsprechendes Äquivalent zum Rückruf gibt, existieren aber durchaus Regeln, Grenzen und eine dazu passende Kommunikation im sozialen Miteinander. Diese Punkte sind in gewissem Rahmen – artübergreifend – natürlich auch in der Mensch-Hund-Beziehung wichtig und beinhalten klare Abbruchsignalen vom Menschen an seinen Hund. Und dabei hapert es, meiner Erfahrung nach, bei so einigen Hundehaltern, die mit dem Rückruf ihres Hundes Probleme beschreiben:

    Denn die Leberwurst zwar kann viel auf den Weg bringen, aber am Ende trotzdem keine Beziehungsprobleme auflösen. Leberwurst kannst Du essen, aber eben nicht mit ihr harmonisch zusammen leben, weil sie irgendwann anfangen wird zu stinken… Raumspray wäre da auch keine dauerhafte Lösung!

    Für den Aufbau eines guten Rückrufs brauchst Du eine verlässliche Beziehung. Die beinhaltet, dass Dein Hund Dich als souveräne, handlungsfähige und klare Führungsperson wahrnimmt, aber trotzdem nicht als permanenten Spielverderber: Rufst Du Deinen Hund ständig aus Spaß heraus, kannst ihm im Gegenzug aber nichts außer Langeweile und einem trockenen Keks bieten, dann wird er sich sehr schnell überlegen, ob Kommen auf Kommando für ihn überhaupt Sinn macht.

    Musst Du Dich zum sprichwörtlichen Affen machen, damit Dein Hund kommt?

    Die Antwort ist einfach: Wenn Du das regelmäßig machen MUSST, damit Dein Hund überhaupt – und nur eventuell – in Erwägung zieht zu kommen, dann bist Du nicht mehr beim Rückruftraining. Du hast sehr wahrscheinlich eher ein Beziehungsthema mit Deinem Hund. Was übrigens gar nicht bedeutet, dass die Beziehung „schlecht“ ist – aber vielleicht sollte man doch noch einmal über die Rollenverteilung sprechen?

    Im Aufbau des Rückruf-Kommandos hingegen macht es Sinn, wenn Du auch mal den witzigen Affen machen kannst. Vor allem bei dem Punkt „Tempo“: Der Rückruf selbst soll dem Hund Spaß machen, obwohl er dafür gerade eine andere tolle oder ihm anderweitig wichtige Situation verlassen muss. Und das hat für Deinen Hund natürlich mit Dir und Deinen Interaktionen mit ihm zu tun!

    Es geht aber im direkten Vergleich hier um zwei unterschiedliche Punkte:

    Musst Du Dich zum Affen machen, damit Dein Hund – je nach Laune – überhaupt zurück kommt, dann nimmt Dein Hund Dich weder ernst, noch hast Du vermutlich den Rückruf sauber eintrainiert.

    Machst Du Dich hingegen zum Affen, weil Dein Hund sofort kommt, dann ist das eine adäquate und richtige Bestätigung für ein gewünschtes Verhalten. Das sind kleine, aber feine Unterschiede für das Ergebnis.

    Und bedenke: Dein Hund weiß, ob Du Dich wirklich freust oder nur so tust, um ihn mit gespielter „Freude“ in Deine Richtung zu manipulieren. Auf letzteres fällt auch ein Welpe nur max. 3 Mal rein – danach nie wieder!

    Das Herzstück zum schnellen Rückruf ist das Tempo – und der Spaß des Hundes am Tempo selbst!

    Willst Du den Rückruf mit Deinem Hund so lebensnah und engagiert wie möglich üben, dann verzichte auf jeden Fall auf die klassische Variante „Sitz + Rückruf:

    Dabei lernt Dein Hund weder für das Alltagsleben, noch ist es hilfreich für Dein Sitz-Kommando. Dein Hund sitzt eben gerade nicht und starrt Dich an, wenn Du ihn vom Kaninchen abrufen willst, aus dem Spiel mit anderen Hunden oder er mit dem Kopf im Maulwurfshügel verschwunden ist. Meist machst Du Dir mit solchen Übungs-Kombinationen nur Deinen Sitz-Befehl kaputt.

    Warum das so ist, kannst Du Dir in meinem Videobeitrag „Problematische Übungskombinationen“ vom 16.11.20  in unserer Videothek anschauen.

    Für das möglichst lebensnahe Rückruftraining musst Du daher idealerweise schon selbst für eine hohe Erregungslage Deines Hundes sorgen, damit er mit Tempo, entsprechenden Erwartungshaltung und Spaß zu Dir rennt.

    Ein guter Rückruf ist ein Rückruf, der sowohl Dir als auch Deinem Hund gefällt.

    Du solltest also insbesondere im Aufbau schon dafür sorgen, dass Dein Hund wirklich gerne kommen will und für sich auch einen Vorteil und Spaß daran findet, zu Dir zu kommen. So macht es für einen jagdlich ambitionieten Hundetyp/Hunderasse sicherlich keinen Sinn, den erfolgreichen Abruf mit einem langweiligen Stück Trockenfutter aus der Hand zu belohnen, während Du stocksteif in frontaler Körperhaltung zu ihm stehst.

    Das wird der beim nächsten Mal nicht mehr machen, sobald der Hase am Horizont zu sehen ist. Versprochen.

     

    Wenn der Welpe beißt – Beißhemmung lernen & die wilden 5 Minuten

    Wenn der Welpe beißt – Beißhemmung lernen & die wilden 5 Minuten

    Hilfe! Mein Welpe beißt!

    Damit das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund klappt, muss schon Dein Welpe lernen, seine Zähne vorsichtig zu benutzen. Ein Hund, der nie gelernt hat, seine Zähne kontrolliert einzusetzen, kann nämlich schnell gefährlich werden.

    Das gilt besonders, wenn in Deinem Haushalt Kinder leben oder Menschen, die z.B. krankheitsbedingt eine schlechte Wundheilung haben und/oder Blutverdünner nehmen: Du solltest als Hundehalter also großen Wert darauf legen, von Beginn an mit Deinem Welpen an seiner Beißhemmung zu arbeiten.

    Und auch im Umgang mit Artgenossen kann aus einem Spiel im Handumdrehen ernst werden, wenn einer der beiden sein Gebiss nicht angemessen unter Kontrolle hat und dem anderen weh tut.

    Was genau ist eine „Beißhemmung“ überhaupt?

    Eine gute Beißhemmung bedeutet, dass Dein Hund seine Zähne im Umgang mit Menschen und Artgenossen vorsichtig und gehemmt einsetzt. Das bezieht sich sowohl auf das gemeinsame Spiel als auch einen Streit unter Hundekollegen.

    Beißhemmung heißt also, dass Dein Hund die Intensität seines Beißens angemessen zu kontrollieren lernt und diese Intensität der Situation entsprechend und abgestuft einsetzen kann.

    Dein Hund soll also nicht unkontrolliert, enthemmt oder zügellos zubeißen. Das heißt aber nicht, dass er seine Zähne gar nicht benutzt.

    Die Beißhemmung selbst ist beim Hund nicht angeboren. Sehr wohl aber die Fähigkeit, sie im Verlaufe seiner Entwicklung ausbilden zu können. Das bedeutet grob gesagt, dass zwar jeder Hund theoretisch eine Beißhemmung lernen kann, sie aber an weitergehende (erzieherische) Lernprozesse gebunden ist.

    Das Problem: Diese Anlage muss (!) auch sehr früh erzieherisch gefördert werden. Sonst verkümmert sie und der Hund kann später keine gezielt graduelle Abstufungen des Zubeißens umsetzen.

    Wann beginnt das Erlernen der Beißhemmung unter Hunden?

    Das Erlernen der Beißhemmung beginnt schon früh – und zwar mit ca. der 4. Lebenswoche:

    Die Welpen werden in diesem Alter jetzt mobil, sie spielen mit ihren Wurfgeschwistern und ihrer Mutter.

    Und da geht es durchaus ruppig zu. Es wird untereinander gezwickt, gezwackt, gequiekt und geschrieen, in Ohren, Ruten, Pfoten oder Lefzen gekniffen – mit den enstsprechenden Reaktionen:

    Wer zu doll zwickt, wird zurückgebissen. Die Welpen lernen hier also schon, dass es vom anderen bestraft und sanktioniert wird, wenn man zu doll beißt und machen gleichzeitig die Erfahrung, dass es einem selbst auch weh tun wird, wenn man sich nicht zu kontrollieren lernt.

    Und wer sich nicht unter Kontrolle hat, ist als Spielpartner dann einfach auch nicht mehr besonders beliebt und wird in Zukunft schlicht nicht mehr so häufig zum Spiel aufgefordert.

    Auch die Mutterhündin hat ein Wörtchen mitzureden und erklärt ihrem Nachwuchs klar und angemessen, wo ihre Schmerzgrenze erreicht ist und sanktioniert deutlich, wo ihre Sprösslinge sich zurück zu nehmen haben. Sie wird sich auch in Streitigkeiten ihrer Welpen einmischen, wenn diese ein zu tolerierendes Maß überschreiten.

    Eine erfahrene Mutterhündin wird ihre Sanktionen auch jedem ihrer Welpen gegenüber angemessen einsetzen: Bei dem renitenten Draufgänger mehr, bei dem Sensibelchen weniger.

    Wer als zukünftiger Welpenhalter das Glück hatte, seinen Welpen vorab im Zusammenspiel mit der Mutter und den Geschwistern beobachten zu dürfen und Sanktionsmaßnahmen schon in der Zeit zwischen der 4. und 8. Lebenswoche vor der Übernahme gesehen hat, der wird sich später weniger Gedanken darüber machen, ob er seinen Welpen unterbrechen darf, sollte dieser mit seinen Zähnen einmal zu doll werden.

    Problematisch kann es allerdings werden, wenn eine sehr sanfte, unerfahrene oder aus anderen Gründen ihrem Wurf nicht gewachsene Mutter auf die angemessene Erziehung ihres Nachwuchses verzichtet und sich lieber regelmäßig aus der Erziehung heraus zieht. Oder herausgezogen wird, weil der Mensch es nicht ertragen kann, dass sie ihren Nachwuchs reglementiert…

    Letzteres passiert leider immer mal wieder bei Hundebesitzern, die einen Wurf mit ihrer eigenen Hündin und dem Nachbarsrüden oder der Gassibekanntschaft gemacht haben, aber nicht über die notwendigen Kenntnisse über Aufzucht, Hundeverhalten & Früherziehung verfügen.

    Das ist ernsthaft fatal, weil diese Form des Erziehens und des Eingliederns in ein soziales Rahmensystem von Hunden untereinander kaum vom Menschen aufgefangen bzw. adaptiert werden kann: Welpen brauchen eine erzieherisch tätige Mutter!

    Ein guter Züchter wird im Zweifel deshalb auch für erziehende vierbeinige Tanten oder Onkel sorgen, sollte die Mutterhündin – aus welchen Gründen auch immer – dieser Aufgabe nicht vollumfänglich gewachsen sein.

    Maßregelung eines Welpen

    Körpersprachliche Reglementierung eines Welpen durch einen erwachsenen Hund (u.a. mit fixierendem Blick und vorwärtsgerichteter Körperhaltung – aber ohne direkten Körperkontakt). Der Welpe zeigt Demutsverhalten.

    Beißhemmung gegenüber dem Menschen

    Das Einüben einer adäquaten Beißhemmung gegenüber dem Menschen sollte mit den 1. Schritten auch schon beim guten Züchter beginnen und nicht erst, wenn der Welpe mit 8 oder 9 Wochen  bei seinem neuem Halter einzieht.

    Verhalten sich Welpen ständig völlig ungehemmt aggressiv gegenüber Menschen, sollte dies ein Warnzeichen für Dich als Käufer sein: Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Welpenverkäufer zu wenig um seine Welpen gekümmert und sich nicht genügend sozial & erzieherisch eingebracht hat.

    Ein seriöser & verantwortungsvoller Züchter zieht seine Welpenwürfe mit Bedacht auf und kümmert sich um die Frühsozialisierung. Zu seinen Aufgaben gehören u.a.:

    • den Welpen mitzuteilen, wenn sie mit ihren Zähnen zu heftig in den Menschen als Sozialpartner zwacken
    • mit ihnen notwendige Zwangsmaßnahmen zu üben wie z.B. wiegen lassen ohne Gestrampel, Gekeife und hysterisches Um-sich-Gebeiße, Ohren-, Augen- und Maulkontrolle oder (je nach Rasse) bestimmte Fellpflegmaßnahen zu simulieren
    • die Welpen an Geräusche, verschiedene Untergründe und unterschiedliche Menschentypen zu gewöhnen
    • die ersten Schritte zur Stubenreinheit zu etablieren
    • den Hundekäufern einen Welpen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen zuzuordnen

    Ein guter Züchter sucht also im Zweifel für seine Interessenten persönlich den passenden Welpen aus seinem Wurf aus. Vielleicht bekommst Du also aus einem Wurf gar nicht Deinen „Wunschwelpen“, wenn der Züchter befürchtet, dass Du als Käufer für dieses Hundekind entsprechend seiner rassetypischen und/oder persönlichen Wesensmerkmale nicht der passende Halter sein könntest.

    Ein erfahrener Züchter weiß, welche Probleme u.a. durch eine mangelhafte und nicht weiter trainierte Beißhemmung später ausgelöst werden und welche Gefahren sich daraus ggf. für Dich, Deine Familie, Kinder oder Dritte ergeben können. Es ist nicht in seinem Interesse, dass Hunde aus seiner Zucht sich in den unpassenden Händen zu Problemfällen entwickeln.

    Das ist auch genau das, was einen guten Züchter vom Vermehrer oder auch Oops-Wurf-Macher klar unterscheidet!

    Wichtige Info:

    Durch die vielen angeschafften Welpen in der derzeitigen Corona-Pandemie haben viele Hundeschulen und Hundevereine kaum freie Plätze in den Welpengruppen! Solltest Du als Welpenhalter nicht gleich einen Platz bekommen und hast schon ernsthafte Probleme mit Deinem „schnappigen“ Welpen, dann frag bitte auf jeden Fall Deinen Züchter um Hilfe: Der ist dann Dein erster Ansprechpartner und wird Dir auch gerne zur Seite stehen!

    Mit entsprechender Vorarbeit und Voraussicht hat Dein Züchter Dir und Deinem Welpen schon einmal die bestmöglichen Startbedingungen in euer gemeinsames Leben geschaffen; denn Dein Hundekind hat erste Grenzen, Regeln und soziale Gepflogenheiten im Umgang mit dem Mensch ja bereits kennengelernt.

    Ab dem Tag der Übergabe ist es nun Deine Aufgabe als frischgebackener Welpenbesitzer, an einer angemessenen Beißhemmung weiter zu arbeiten.

    Bis zu welchem Alter sollte ein Welpe die Beißhemmung gelernt haben?

    In dem Zeitfenster zwischen der 4. und 18. Lebenswoche wird eine adäquate Beißhemmung optimal vom Hund gelernt.

    Mit spätestens 18 Wochen sollte eine erfolgreiche Beißhemmung daher in etwa abgeschlossen sein. Die zügellosen Beiß-Attacken auf Dich und/oder Familenmitglieder hören  – bei entsprechender Erziehung – jetzt auf.

    Du hast also als Mensch nur begrenzt Zeit, mit Deinem Welpen den vorsichtigen Einsatz seiner Zähne zu trainieren. Zögerst Du das hinaus, kann es sein, dass Dein Welpe später nicht mehr oder nur schwer lernt, die Intensität seiner Bisse gegenüber Menschen zu kontrollieren.

    Trotzdem wird er sich auf dem Weg dorthin immer mal wieder mal wieder vergessen – und Dich oder Familienmitglieder schmerzhaft zwicken: Das ist normal und Du wirst ihn recht häufig wieder daran erinnern müssen, dass er vorsichtiger sein muss.

    Welche Ratschläge man findet und wie sinnvoll diese sind

    Klar und einheitlich sind die meisten Empfehlungen bei diesem Punkt: Wird der Welpe zu doll, gibst Du z.B. ein akkustisches Abbruchsignal wie z.B. „nein“ und sollst dann das Spiel sofort kurz abbrechen. Aber wie ist denn so ein Spielabbruch überhaupt herbeizuführen?

    Im Folgenden liste ich Dir eine Reihe verbreiteter Ratschläge, Tipps und Maßnahmen auf, die Du als Welpenhalter überall in Hundebüchern oder Internetforen in Bezug auf das Erlernen der Beißhemmung stößt oder auch von anderen Hundebesitzern erhältst.

    – Vor- und Nachteile bestimmter Trainingsansätze und Hilfsmittel –

    Um eine blauäugige Umsetzung zu verhindern, möchte ich Dich bei jeder einzelnen Methode auf die Vorteile, die Nachteile und potenziellen Gefahren aufmerksam machen und Dir die Möglichkeit geben, bestimmte Trainingsansätze für Dich und Deinen Welpen richtig einzuordnen.

    Grundsätzlich sollte der richtige Weg für Dich und Deinen Hund immer ganz individuell abgestimmt werden und sich sowohl am Alter als auch an der Persönlichkeit Deines Welpen orientieren – es ist nicht jede Maßnahme für jeden Welpen geeignet! Halte also im Zweifel lieber Rücksprache mit Deinem Züchter und/oder einem Hundetrainer, bevor Du irgendwelche Tipps umsetzt.

    1. Du zwickst zurück. Dabei imitierst Du quasi das sanktionierende Verhalten der Mutter oder Welpengeschwister.

    • Vorteil: Richtig und mit der angemessenen Intensität durchgeführt, lernt der Welpe sehr effektiv und schnell, seine Zähne gehemmter einzusetzen.
    • Nachteil: Passen Timing und Intensität nicht, kann es sein, dass Dein Welpe sich entweder noch mehr hochpuscht (Intensität zu niedrig) oder Du ihn unangemessen einschüchterst (Intensität zu hoch)
    • Form: hundlich/menschlich. Auch Kinder kneifen untereinander  im Zweifel mal zurück, wenn der Spielkamerad zu doof wird und einem weh tut.

      2. Dein Welpe erhält eine Auszeit. Du nimmst ihn bei zu heftigem Beißen sofort aus der Situation und verfrachtest ihn kurz (!) in seine Box, ein anderes Zimmer oder machst ihn auf seinen Platz fest.

      • Vorteil: Du musst Dir über die Intensität einer (körperlichen) Sanktionierung keine Gedanken machen
      • Nachteile: Bekommst Du Deinen Welpen nicht gleich zu fassen und er macht mit Dir dann ein lustiges ein Fang-mich-Spiel daraus, belohnst (!) Du ihn stattdessen für sein Beißen und zeigst ihm , dass er sich nicht von Dir korrigieren lassen muss.
      • Form: Rein menschlich. Es nimmt kein Hund einen anderen und setzt ihn für unangemessenes Verhalten in ein anderes Zimmer oder in eine Box. Ein erwachsener Hund wird einen zu freche Welpen stattdessen durch klare Körpersprache und aggressive Kommunikation wie z.B. knurren und Zähne zeigen dazu veranlassen, sofort aufzuhörensich oder sogar von vornherein auf Abstand zu bleiben.

      3. Du ignorierst Deinen Welpen in seinen Schnappattacken. Du tust also so, als würde Dein Welpe Dich nicht schmerzhaft zwicken und an Deinem Hosenbein hängen.

      • Vorteil: Aus meiner Sicht für den Hundeanfänger keiner vorhanden, weil das bewusste Unterdrücken von Schmerzreaktionen vorab selbst eines gar nicht so einfachen Trainings- und Lernprozesses desjeniegen bedarf, der dies gegenüber einem anderen (in diesem Fall  Welpen) gezielt einsetzen will. Die Absicht ist, den Welpen ins Leere laufen zu lassen. Kann aber bei sehr souveränen, klar agierenden Menschen durchaus situativ erfolgreich gegenüber einem Hund eingesetzt werden.
      • Nachteile: Zeigst Du doch entsprechend Reaktionen, bestärkst Du Deinen Hund vielleicht sogar in seinem Verhalten. Hast Du zudem eine Hunderasse, bei der das Kneifen oder Packen züchterisch und genetisch gewollt ist (bestimmte Hüte- oder Jagdhunde, Treibhunde oder Terrier), öffnest Du im Zweifel die Büchse der Pandora – denn das Zubeißen an sich ist dann ohnehin schon selbstbelohnend und wird sich dann schlicht zukünftig nur verschlimmern. Frage allerdings: Warum sollte ein Mensch seinem Hund überhaupt die Information vorenthalten, wenn er einem weh tut?
      • Form: menschlich/hundlich: Auch manche sehr souveräne Hunde „ignorieren“ durchaus gelegentlich Attacken und lassen den anderen ins Leere laufen – allerdings nur, insofern es sich ohnehin um ein unterlegenes, nicht wirklich ernstzunehmendes Gegenüber handelt. Das hat aber trotzdem ein Ende, sobald die eigene Schmerzgrenze erreicht ist (es lässt sich auch der coolste Hund nicht dauerhaft ohne Gegenwehr von einem anderen schmerzhaft an den Lefzen ziehen, in den Bauch beißen oder gar verprügeln). Das gleiche gilt für den Menschen. Es bleibt aber die Frage, ob entsprechend souveräne Hunde wirklich in unserem menschlichen Verständnis „ignorieren“ – oder nicht stattdessen eher in ihrer Coolness eher Imponierverhalten zeigen? Das kann man durchaus verwechseln!

      4. Den Welpen ablenken, wenn er Dich beißt. Das heißt, Du holtst z.B. ein Futterstück oder Spielzeug in dem Moment heraus, wenn Der Welpe Dich zwickt oder zwicken will.

      • Vorteil: Du kannst sein Verhalten sehr schnell von Dir ab- und auf ein anderes Objekt umlenken.
      • Nachteile: Wenn Du Pech hast, verstärkst Du die Welpenattacken Deines Hundekindes mit dieser Strategie sehr schnell, wenn es eine Verhaltenskette mit seinem Zwicken und Deiner „Ablenkung“ assoziiert: Du belohnst Deinen Welpen dann für sein unerwünschtes Verhalten. Was der Welpe hier nicht unbedingt lernt, ist seine Zähne vorsichtiger einzusetzen, also genau das, was eine Beißhemmung genau genommen meint. Er beißt einfach woanders rein.
      • Form: rein menschlich. Kein Hund zaubert ein Futterstück oder Spielzeug aus seinem Fell, um einen anderen daran zu hindern, ihn zu doll zwicken oder zu beißen.

      5.  Lautes „Aua“- Schreien und Imitation von Welpenschmerzlauten. Der Welpe soll vom Menschen ablassen, wie er das bei Wurfgeschwistern tun würde.

      • Vorteil: Du musst eigentlich nicht mehr tun, als Deiner ganz normalen Schmerzreaktion Ausdruck zu verleihen. Funktioniert prima bei Hunden, die vorab schon entsprechend klare Sozialisierungsprozesse durch Mutter, Welpengeschwister und Züchter (vor)erfahren haben.
      • Nachteile: Funktioniert nicht gut bei Hunden, ohne Vorerfahrungen inkl. sanktionierender Konsequenzen. Lautes Quietschen kann manche Welpen im Gegenteil sogar aufpuschen. Auf Schmerzlaute eines Gegenübers sozial adäquat mit Abbruch bzw. vorsichtigerem Zähneeinsatz reagieren zu können, ist schlicht schon ein Ergebnis von Erziehung – in der Regel aus dem ersten Punkt: Zwicken und zurück gezwickt werden!
      • Form: hundlich/menschlich

      6.  Den Raum sofort verlassen, wenn der Welpe zu doll zwickt.

      • Vorteil: Du kannst Dich selbst sehr schnell der Situation entziehen und damit weitere Beißattacken erst einmal unterbrechen.
      • Nachteil: Bestimmte Hundetypen können hierbei auch eine ungünstige Strategie für ihr späteres Leben entwickeln – nämlich, wie man Menschen auf Abstand schickt, wenn einem etwas nicht gefällt. Das kann vor allem dann passieren, wenn Du Dich eher unsicher aus der Situation heraus ziehst, statt klar und souverän.
      • Form: Eher menschlich. Zwar kann auch eine Mutterhündin gelegentlich einmal auf Abstand zu ihrem Nachwuchs gehen, wenn er ihr zu sehr auf die Nerven geht, aber in Bezug auf die Beißhemmung gehört zu ihrem Erziehungsauftrag vor allem das Beibringen hündischer Kommunikation. Also vom Knurren über das Naserunzeln bis hin zu einem erzieherischen Biss bzw. Über-den-Fang-Greifen. Auf diese Weise lernt der Nachwuchs eine graduierte Abstufung von Warnungen (knurren, Naserunzeln, Lefzen hochziehen und Zähne zeigen) bis hin zur Erfahrung, dass es für ihn Konsequenzen hat, wenn er auf Warnungen nicht reagiert (u.a. dann Beißen).

      7.  Deinen Welpen mit dem sog. Schnauzengriff bestrafen. Dabei imitierst Du auch hier quasi Sanktionsmaßnahmen der Mutterhündin

      • Vorteil: Richtig und mit der angemessenen Intensität durchgeführt, lernt der Welpe sehr effektiv und schnell, seine Zähne gehemmter einzusetzen.
      • Nachteil: Passen Timing, Durchführung und Intensität nicht, kann es sein, dass Dein Welpe sich entweder noch mehr hochpuscht (Intensität zu niedrig) oder Du ihn unangemessen einschüchterst (Intensität zu hoch). Das korrekte Über-den-Fang-Greifen ist für viele Hundehalter erfahrungsgemäß m.M.n. nicht gut umsetzbar; es ist aus Menschensicht oft zu abstrakt, weil wir selbst keinen Fang entsprechend eines Hundes besitzen.
      • Form: Eher hundlich.

      8.  Den Welpen mit einem Spritzer aus der Wasserpistole unterbrechen oder ihm eine Schepperdose vor die Füße werden, wenn er zu doll mit den Zähnen wird.

      • Vorteil: Mit dem passenden Timing sowie angemessener Intensität durchgeführt, lernt der Welpe sehr effektiv und schnell, seine Zähne gehemmter einzusetzen.
      • Nachteile: Passen Timing und Intensität nicht, kann es sein, dass Dein Welpe sich entweder noch mehr hochpuscht (Intensität zu niedrig) oder Du ihn unangemessen einschüchterst (Intensität zu hoch). Schepperdosen bergen darüber hinaus die große Gefahr, dass Du Deinen Welpen geräuschempfindlich machst und er später auf ähnliche Geräusche mit Furcht reagiert wie z.B. den Toaster, das Schließen von Jalousien, die Leerung von Glascontainern etc. pp – und das kann ein wirklich ernsthaftes Lebensthema begründen! Hilfsmittel jeglicher Art können darüber hinaus dazu verführen, sie inflationär einzusetzen und die eigene soziale Erzieherrolle nicht mehr ernsthaft wahrzunehmen.
      • Form: Rein menschlich. Hunde spritzen weder mit Wasser, noch benutzen sie Schepperdosen.

      9.  Den Welpen mit tiefer Stimme, vorwärtsgerichteter Körperhaltung und fixierendem Blick unterbrechen. Du imitierst u.a. hundliches Drohverhalten/Abbruchsignale.

      • Vorteil: Funktioniert prima bei geübten und authentischen Hundehaltern. Droh-/Abwehrverhalten kann vom Menschen gut umgesetzt werden, weil es die klassische Form von (auch artübergreifender!) Warnung im Großteil des Tierreiches ist. Dazu gehört ebenso der Menschen. Deshalb kann auch eine selbstbewusste Katze mit Drohfauchen und entsprechender Körpersprache durchaus Hunde auf Abstand halten oder eine Gans sehr nachdrücklich vermitteln, wenn sie sich ganz und gar nicht als mögliches Opfer eines Angreifers betrachtet. Als Hundehalter profitierst Du davon, wenn ein Welpe zu diesen artübergreifenden Warnungen schon angeleitete Vorerfahrungen beim Züchter sammeln konnte – nicht nur durch die Mutter, andere Hunde und Menschen, sondern im Idealfall z.B. auch mit Katzen, Gänsen, Hühnern oder anderen artfremde Tieren.
      • Nachteil: Die eigene Körpersprache gezielt einzusetzen, muss von vielen Hundebesitzern oft erst (wieder) gelernt werden. Intensität muss passend zum Hund sein und soll zwar einen Abbruch herbeiführen (Intensität angemessen), aber weder den Welpen verängstigen (Intensität zu hoch), noch ihn zum weitermachen animieren (Intensität zu niedrig).
      • Form: menschlich/hundlich/generell tierisch

      10.  Hände, Beine wegziehen und sich vom Welpen abdrehen.

      • Vorteil: Funktioniert bei entsprechend klaren Hundehaltern mit souveränem Auftreten. Kann dann in die Form eines Ignorierens übergehen, um den Hund ins Leere laufen zu lassen.
      • Nachteil: Muss sehr bestimmt und mit entsprechend körpersprachlicher Autorität und authentischer Stimmung vermittelt werden, sonst verkehrt sich diese Maßnahme oft ins Gegenteil. Nicht zu empfehlen für hektische/unsichere Hundehalter und kleinere Kinder, weil ein gehemmtes, nervöses oder sogar ängstliches Wegdrehen vom Hund (vor allem mit zusätzlichem Quietschen und schnellen Beweungen) oft genau das Gegenteil vom erwünschten Effekt bewirkt: Der Welpe wird angestachelt und lernt, dass er mit eigenem Körper – und Zahneinsatz seinen Menschen in Schranken verweisen kann und dieser ihm ausweicht, wenn er beginnt zu schnappen.
      • Form: menschlich/hundlich

      Beachte: Um später entsprechende Kontrolle über seine Beißintensität zu erlangen, muss Dein Welpe seine Zähne auch mal im Spiel mit Dir ausprobieren dürfen – Fußballspielen lernst Du schließlich auch nicht, indem Du nie gegen einen Ball trittst…  Das heißt aber nicht, dass der Welpe das bei kleinen Kindern austestet. Du solltest parallel üben, dass Kinderhände, Kinderarme & Kinderfüße grundsätzlich für seine Zähne tabu sind!

      Beißhemmung gegenüber Menschen

      Kontrollierter Einsatz der Zähne mit geringer Intensität – hier im erlaubten gemeinsamen Spiel mit einem erwachsenen Hund.

      Die wilden 5 Minuten: Wie sich Stimmungslagen und Reizüberflutung auf das Erlernen der Beißhemmung auswirken!

      Jeder Welpenbesitzer kennt sie: Die wilden 5 Minuten, wo das Hundekind plötzlich wie aus dem Nichts aufdreht, wie von der Tarantel gestochen durch die Wohnung rast und dabei in alles hinein beißt, was ihm vor die Schnute kommt. Das sind dann auch mal die Hosenbeine und Menschenfüße.

      Zunächst einmal: Diese kurzen Ausraster – meistens gegen Abend – sind für Welpen völlig normal.

      Gedanken solltest Du Dir allerdings machen, wenn sich Dein Welpe überhaupt nicht mehr beruhigen will oder diese Ausbrüche recht häufig am Tag auftreten. Sie können dann ein Anzeichen für Überforderung und ein zu hohes Stresslevel sein.

      Um eine gute Beißhemmung in einem recht kurz gefasste Zeitfenster optimal erlernen zu können, musst Du die Lernbedingungen für Deinen Welpen so anpassen, dass er auch lernen kann, was Du von ihm möchtest. Und das funktioniert auf einem zu hohen Stressniveau nicht mehr.

      Zieht Dein Welpe mit 8, 9 oder 10 Wochen bei Dir ein, ist er zum einen noch mitten im Lernprozess zu einer ordentlichen Beißhemmung, zum anderen muss er gleichzeitig noch weitere Fähigkeiten erlernen, die mit der Beißhemmung in unmittelbarem Zusammenhang stehen:

      • Impulskontrolle
      • Frustrationstoleranz

      Impulskontrolle und Frustrationstoleranz müssen ebenso Schritt für Schritt gelernt werden. Das heißt, je weniger Impulskontrolle und Frustrationstoleranz Dein Welpe noch hat, desto heftiger wird er im Zweifelsfall auch in Deine Hände, Beine, Füße oder Hosenbeine zwicken.

      Kommen jetzt noch zu viele äußere Stressfaktoren dazu, muss sich Dein Welpe mit sehr vielen und wechselnden Reizen in sehr kurzer Zeit am Tag auseinandersetzen und hat zudem nicht genügend Ruhepausen gehabt, umso weniger wird es ihm im Verlaufe des Tages noch gelingen, seine Zähne zu kontrollieren!

      Das ist ein ganz klassischer Fall von Reizüberflutung und Übermüdung wie man das auch von kleinen Kindern kennt!

      Bedenke bitte, dass Dein Welpe gerade einmal ein paar wenige Wochen überhaupt auf dieser Welt ist:

      Er erlebt jeden einzelnen Tag ganz viele Dinge, die für ihn absolut neu sind. Er sieht, hört, riecht und fühlt Dinge, mit denen er vorher noch nie in Kontakt war. Er ist in eine Menschenfamilie eingezogen, in der jede einzelne Person noch fremd für ihn ist. In eine Umgebung, die er nicht kennt, mit Regeln, die er erst verstehen muss.

      All das muss sein Welpengehirn erst einmal verarbeiten können. Und dafür braucht er zwischendurch ziemlich viel Ruhe, weil sich vor allem im Schlaf das Gehirn strukturiert und Lernerfahrungen verarbeitet werden. Dabei sprechen wir durchaus von 18 bis 20 Stunden am Tag!

      Für diese Ruhezeiten musst Du dann als Hundehalter sorgen – denn es ist nicht so, dass sich jeder Welpe die Zeit nimmt, die er benötigt. Welpen sind einfach sehr reizempfänglich und springen oft sofort auf alle Auslöser oder Anreize an, die sich bieten oder ihnen präsentiert werden. Gerade, wenn Kinder im Haushalt sind, musst Du darauf achten, dass der Welpe sich nicht ständig in Aktion befindet oder zu Aktionen animiert wird.

      Ein übermüdeter Welpe fällt nicht unbedingt einfach um und schläft. Im Gegenteil dreht er oft auf, wird launisch, aggressiv, wild, impulsiv und hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Nicht umsonst heißt es auch bei kleinen Kindern: „Nach müde kommt doof!“

      Je hochgepuschter und gestresster Dein Welpe ist, umso heftiger und unkontrollierter wird er in der Folge zuschnappen.

      Rastet Dein Welpe also häufig aus, lässt sich nicht mehr herunterfahren und schraubt sich in die Welpenbissigkeit hinein, ist das in der Regel ein Zeichen von zuviel Stress bzw. stressigen Situationen am Tag. Dann musst Du ein paar Gänge zurück schalten und ihm mehr Ruhephasen verschaffen.

      Je aufgeregter und gestresster Dein Welpe nämlich ist, umso weniger erfolgreich wirst Du mit ihm auch die Beißhemmung üben können: Das wäre ungefähr so, als würdest Du mit Deinem 4jährigen Kind auf seinem ersten Kindergeburstag mit Freunden plötzlich noch eine Blockflöten-Lektion beginnen wollen. Der Wutanfall ist vorprogrammiert!

      Ein überforderten Welpe benötigt keine Lektion zur Beißhemmung, sondern mehr Ruhe!

      Dreht Dein Welpe aus Überforderung und Reizüberflutung auf, ist das definitiv nicht der richtige Moment um die Beißhemmung mit ihm zu üben. Das ist ein ganz klassischer Fall von Auszeit geben. Sorge also für einen ruhigen Platz oder eine Box, wo Dein Welpe tatsächlich zur Ruhe kommen kann oder aktiv von Dir in die Ruhe gebracht wird.

      Ruhe für den Welpen ist dann auch Ruhe – auch Kinder haben in dieser Zeit nichts in der Nähe des Welpenplatzes zu suchen und müssen respektieren, dass ein Welpe nicht immer mit ihnen spielen soll und darf.

      Genügend passende Kauartikel anbieten

      Das Kaubedürfnis von jungen Hunden ist groß. Biete Deinem Welpen also entsprechende Möglichkeiten, dieses Bedürfnis regelmäßig stillen zu können.

      Welpen, die genug Gelegenheit bekommen, ihre Zähne erlaubt zu benutzen, haben i.d.R. weniger Grund, sich zusätzlich an ihren Menschen abzuarbeiten:

      Kauen macht müde und sorgt zudem für Stressabbau.

      Achte darauf, dass Du passende Kauartikel anbietest und lass Dich dazu im Zweifel von Deinem Tierarzt beraten. Zu harte Kauspielzeuge wie Geweihe oder ähnliches sind ungeeignet; sie können leicht dazu führen, dass die Zähne Deines Hundes abbrechen.

      Führung übernehmen – Verantwortung tragen!

      Führung übernehmen – Verantwortung tragen!

      Was sind Führungsqualitäten überhaupt?

      Fast jeder Hundebesitzer hat von ihnen schon einmal gehört – den berüchtigten Führungsqualitäten, die es einem ermöglichen sollen, seinen Hund wie am seidenen Faden zu lenken und leiten und die die Hundeerziehung quasi zum Kinderspiel machen.

      Manch ein Hundehalter kennt auch tatsächlich so einen Menschen, bei dem der eigene Hund genau das tut, was er tun soll, dem er gerne und bereitwilig folgt, während der gleiche Hund bei einem selbst manchmal nur widerwillig oder gar nicht macht, was man ihm sagt oder einem gefühlt mit Wonne auf der Nase herum tanzt.

      Oder es gibt diese spezielle Person, bei der mein Hund Sicherheit findet und sich vertrauensvoll orientiert, statt sich in Ängsten, Aggression oder Nervosität zu verlieren. Und dann taucht die Frage in meinem Kopf auf: ,,Was hat dieser Mensch, was ich nicht habe?“

      Gibt es nun aber überhaupt dieses eine besondere Talent, das einen zu einer Führungspersönlichkeit macht? Diesen einen Knopf, den ich nur bei mir selbst finden und drücken muss, damit es zwischen mir und meinem Hund klappt?

      Die Antwort ist: Sehr wahrscheinlich nicht. Denn jemanden zu führen, ist eine komplexe Aufgabe und keine singuläre Qualifikation.

      Aber wer dauerhaft ehrlich führen will, der muss an allererster Stelle Verantwortung übernehmen – und kommt um diese auch nicht herum.

      Deinen Hund zu führen bedeutet, Verantwortung für ihn, seine Entwicklung und sein Handeln zu übernehmen, ihn anzuleiten, zu stützen, zu beschützen, aber ihm auch zu vermitteln, wann er sich unangemessen verhält oder sich in Gefahr begibt.

      Es ist mitnichten so, dass bestimmte Menschen einfach als „Führungspersönlichkeiten“ auf die Welt kommen. Das mag es im Einzelfall eventuell auch einmal geben, dürfte aber wohl eher die Ausnahme als die Regel sein. Vielleicht helfen einem gewisse Persönlichkeitsmerkmale Führungsqualitäten zu entwickeln, sie sind aber noch lange kein alleiniger Garant dafür, tatsächlich eine souveräne Führungspersönlichkeit für seinen Hund zu sein. Auch Persönlichkeitsmerkmale sind eben nur ein Mosaiksteinchen von vielen Bausteinen, die uns zu Führungsqualitäten verhelfen können.

      Das Gute ist: An den meisten dieser Bausteine kann jeder von uns arbeiten!

      Was eine Führungspersönlichkeit ausmacht – die einzelnen Bausteine

      • mentale Stärke und Optimismus
      • planvolles und zielorientiertes Handeln
      • Entscheidungsfreudigkeit (auch in unpopulären Situationen)
      • Handlungsfähigkeit und Handlungswille
      • Klarheit in der Kommunikation
      • Reflexionsvermögen
      • Verlässlichkeit & Berechenbarkeit
      • Fairness

      1. Mentale Stärke und Optimismus

      Je stärker Du als Person mental gefestigt bist, desto weniger verspürt Du Ängste, Zweifel oder Unsicherheiten. Mentale Stärke kommt also nicht nur im Alltag, sondern insbesondere unter unbequemen, belastenden oder konfliktbesetzten Umständen zum Tragen.

      Mental starke Menschen können sich einerseits auch in schwierigen Situationen auf ihr Ziel konzentrieren, andererseits lassen sie sich weniger schnell durch Rückschläge und Niederlagen entmutigen.
      Sie zeichnen sich in der Regel durch ein großes Maß an Grundoptimusmus aus und gehen davon aus, dass sie entsprechende Lösungen für ihr Problem auch finden werden.
      Für sie ist das Glas eher halb voll statt halb leer.

      Die mentale Stärke ist also auch mitgeprägt von der eigenen Einstellung. Und Einstellungen kann man tatsächlich veränderbar trainieren – ein bisschen so, wie man auch die körperlichen Kondition trainieren kann: Von der Couchpotatoe zum Freizeitsportler.

      2. Planvolles und zielorientiertes Handeln

      Sich feste Ziele zu setzen und ein umsetzbarer Plan zu gestalten, sind klassische Führungsmerkmale. Wer kein Ziel und keinen Plan hat, wird nicht optimistisch an Aufgaben und Herausforderungen herangehen, sich oft den Weg zu Erfolgserlebnissen selbst verbauen oder schon scheitern, bevor er richtig angefangen hat.

      Natürlich ist es in der Hundeerziehung am einfachsten, wenn Du schon vom 1. Tag an ganz klar definierte zukünftige Ziele für Dich und Deinen Hund bestimmt hast und kontinuierlich darauf hinarbeitest. Damit verhinderst Du viele Probleme, weil Du dann – sehr wahrscheinlich – von Anfang an automatisch planvoller vorgehen wirst und sowohl der Enstehung von manchen Schwierigkeiten entgegen wirkst als auch bewusster darauf achtest, Deinem Hund erwünschte Handlungen sehr genau und richtig beizubringen.

      Aber seien wir ehrlich: Niemand kommt als perfekter Hundehalter auf die Welt. Fehler passieren jedem von uns, das ist menschlich. Aber wir können aus Fehlern lernen und uns aktiv dafür entscheiden zu reflektieren, warum wir entweder immer und immer wieder vor dem selben Problem stehen oder sich gewünschte Erfolge nicht einstellen.

      Willst Du also zum Beispiel mehr mentale Stärke und Optimismus entwickeln und – falls notwendig –  gleichzeitig die Veränderbarkeit Deiner Einstellung schulen, brauchst Du zwingend auch erlebbaren Erfolg. Dazu ist es an allererster Stelle hilfreich, Dir ganz bewusst für tatsächlich planbare und für Dich gut erreichbare Aufgaben konkrete Zielstellungen zu setzen und Dir einen Schritt-für-Schritt-Plan zu erstellen, wie Du dieses Ziel mit Deinem Hund erreichen kannst.

      Es geht dabei gar nicht unbedingt darum, dass Du sofort im „Worst-Case-Szenario“ Erfolg haben musst:

      Wenn Dein Hund z.B. in Begegnungen mit Besuch seit Jahren regelmäßig völlig hysterisch geifernd aus der Jacke springt, macht es keinen Sinn, mit dem Training direkt in der Besuchssituation an der Tür zu beginnen. Du erreichst ihn in dieser Lage ohnehin nicht  mehr – denn andernfalls würde er heute dort nicht mehr ausrasten. Du brauchst es also an dieser Stelle (der Tür) nicht das 300. Mal zu probieren, wenn ihr hier schon 299 Mal miteinander gescheitert seid. Im ungünstigsten Fall verlierst Du so von Mal zu Mal nur mehr an Glaubwürdigkeit für Deinen Hund, dass Du diesen Konflikt überhaupt lösen kannst…

      Positive Einstellungen erwachsen aus umsetzbaren Erfolgen. Nicht aus vorhersehbaren Misserfolgen.

      Wenn es für Deinen Hund aber zusätzlich ebenso ein Problem ist, ohne große Ablenkung einfach mal 5 Minuten auf seinem Platz liegen zu bleiben, wenn er aus dem Kommando „sitz“ immer nach ein paar Sekunden wieder aufsteht oder er Dich zum Spaziergang schon an der Leine durch die Haustür zieht – dann fang stattdessen da an und nicht sofort in den regelmäßig eskalierenden Besuchssituationen.  Das heißt: Such Dir gezielt Situationen oder Übungen aus, in denen Du sehr warscheinlich erfolgreich mit Deinem Hund sein wirst.

      Hast Du nämlich im Kleinen schon ein klares Ziel und einen Plan, wirst Du viel eher bemerken, wann Du Dich auf „Abwege“ begibst, keinen Einfluss nimmst, wo Du ihn nehmen könntest und wirst viel genauer darauf achten, was Dein Hund durch Dein Tun oder Unterlassen wirklich von und mit Dir lernt. Im Guten und im Schlechten, bei kleinen und bei großen Schwierigkeiten.

      Allein mit diesen konkret geplanten (Zwischen-) Zielen, wirst Du schon erfolgreicher sein, als wenn Du situativ immer nur genervt auf die „Fehler“ Deines Hundes reagierst.

      Mit der entsprechenden Zielsetzung, einem umsetzbaren Plan und den daraus resultierenden Erfolgserlebnissen, kannst Du tatsächlich eine aktive Veränderung Deiner Einstellung bewirken: Du wächst an Deinen eigenen Erfolgen, gerade weil Du Erfolge hast. Darauf baust Du auf.

       

      Beispiel Leinenführung
      Es wird für Dich und Deinen Hund viel leichter, eine ordentliche Leinenführung zu etablieren, je konkreter Du weißt, wie das Endergebnis (Ziel) für Dich und Deinen Hund dabei aussehen soll:

      • Mein Hund läuft in der Leinenführung immer auf Kniehöhe.
      • Er überholt mich nicht.
      • Er passt sich meinem Tempo an.
      • Er läuft mit mir, ohne alle Grashalme zu markieren oder Fressbares aufzusammeln.
      • Er ignoriert in der Leinenführung andere Hunde, Menschen oder sonstige Reize.
      • Er tut dies alles an durchhängender Leine.

      Je unkonkreter aber Deine Zielvorstellungen sind, desto weniger kannst Du Deinem Hund beibringen, was Du von ihm erwartest:

      • Mein Hund soll nicht so doll ziehen (aber er darf eben doch ziehen)
      • Mein Hund soll nicht so viel schnüffeln (aber er darf eben doch schnüffeln)
      • Mein Hund soll nicht so plötzlich in die Leine brettern (aber darf eben doch mal in die Leine springen)
      • Mein Hund soll Passanten nicht so überschwänglich anspringen (aber er darf Passanten eben doch begrüßen)
      • Mein Hund soll sich nicht so doll bei Hundebegenungen aufregen (aber er darf sich eben doch aufregen)

      All diese letzten Punkte sind in der Summe keine sauberen Informationen für Deinen Hund.

      Du bietest Deinem Hund stattdessen situativ immer wieder unterschiedliche Alternativen und Ergebnismöglichkeiten für eure Leinenführung an, die er genaugenommen wahllos erraten muss. Denn im Ergebnis kommt bei Deinem Hund an, dass er eben das eine Mal an der Leinen ziehen, herumschnüffeln, in die Leine brettern, Passanten anspringen und sich in Hundebegegnungen aufregen darf, ein anderes Mal aber nicht. Je nach Deiner Tagesform und Befindlichkeit mal mehr, mal weniger. Nur – für Deine Tagesform ist nicht Dein Hund verantwortlich, sondern nur Du selbst.

      Hast Du im Gegensatz ein konkretes Bild von der ordentlichen Leinenführung vor Augen, wirst Du deutlich weniger von diesen unsauberen, schwammigen und widersprüchlichen Informationen an Deinen Hund weitergeben. Du konzentrierst Dich stattdessen auf das Ziel für Dich und Deinen Hund und wirst so auch viel eher einen entsprechenden Trainingsablauf für Dich und Deinen Hund entwickeln. Gleichzeitig übst Du Dich sogar zwangsläufig darin, klarer und verständlicher  in der Kommunikation mit Deinem Hund zu werden. Eine klassische Win-win-Situation für euch beide!

      Das heißt: Dir einen Plan zu machen und ein konkretes Ziel zu setzen, ist nicht nur fairer Deinem Hund gegenüber, sondern Du wirst euch beiden im Ergebnis auch viel leichter und schneller zu Erfolgserlebnisse verhelfen. Und Dir und Deinem Hund diese wichtigen Erfolge Schritt-für-Schritt verschaffen zu können, wirkt sich am Ende nicht nur auf Deine Einstellung, sondern auch auf Deine mentale Stärke aus. Denn auch mentale Stärke kann nur wachsen, wenn Du Erfolgserlebnisse hast.

      Mal davon abgesehen, ist es natürlich auch für Deinen Hund viel befriedigender, wenn er eine reelle Chance hat, Dinge richtig zu machen und ihr somit zusammen an euren gemeinsamen Erfolgen wachsen könnt.

      Sich feste Ziele zu setzen und einen umsetzbarer Plan zu gestalten, sind also klassische Führungsmerkmale.

      3. Entscheidungsfreudigkeit (auch in unpopulären Stuationen)

      Entscheidungsfreudigkeit bedeutet, dass grundsätzlich DU als Führungsperson die sinnvollen und wichtigen Entscheidungen im Leben Deines Hund triffst.

      Das kann die eher trivial anmutende Entscheidung sein, dass Dein Hund wirklich in seinem Korb bleiben muss, obwohl die Kühlschranktür aufgeht, aber auch eine als situativ von Dir als heikel empfundene Anweisung. Zum Beispiel, fremden Menschen ernsthaft zu verbieten, Deinen Hund jetzt anzufassen oder anzusprechen, weil er ängstlich oder misstrauisch ist oder anderen Hundehaltern unmissverständlich mitzuteilen, dass Dein Hund jetzt keinen Kontakt zu ihrem will  – und Du übrigens genauso wenig.

      Unpopuläre Entscheidungen sind absolute Anweisungen, die Du für Deinen Hund und zu seinem Wohlergehen triffst. Es sind Verfügungen, die durchaus gegen die aktuellen Wünsche und den Willen Deines Hundes sein können, genauso oft aber auch gegen den Willen und die Wünsche anderer Menschen oder Hundehalter. Es sind Entscheidungen, die jedoch fast immer die Weichen für die Zukunft Deines Hundes stellen:

      • Am Kühlschrank kannst Du üben, das Dein Hund später im Restaurant nicht die Servicekraft mit dem Schnitzelteller anspringt und stattdessen gechillt unter dem Tisch liegen bleibt. Eine absolute Grundvoraussetzung, dass Du ihn später also überhaupt mit in ein Restaurant, eine Eisdiele oder nur zur Einladung zum Abendessen bei Freunden mitnehmen kannst.
      • Gezielt Übergriffigkeiten von anderen Menschen oder Hunden gegenüber Deinem eigenen Hund abzuwehren, kann im Einzelfall den ernsthaften Unterschied ausmachen, ob Dein Vierbeiner im späteren Verlauf seiner Entwicklung und Lernerfahrungen zum Beißer wird oder nicht.

      Mit klaren Entscheidungen strukturierst Du Deine zukünftige Einflussnahme auf das Verhalten und das Weltbild Deines Hundes.

      Als Entscheidungsperson bist Du maßgeblich für Deinen Hund und seine Verhaltensentwicklung mitverantwortlich. Du bist oder wirst Teil von (späteren) Problemen, wenn Du aus falsch verstandener Höflichkeit gegenüber Dritten zulässt, dass sich Dein Hund in Situationen widerfindet, in denen er überfordert ist und Du nicht eingreifst, wenn er von Dir entweder Schutz oder andererseits eine klare Ansage benötigt.

      Entscheidungen für Deinen Hund zu treffen bedeutet übrigens oft auch, Entscheidungen gegen Deine eigenen momentanen Befindlichkeiten, Wünsche, Vorstellungen und emotionale Sehnsüchte aufrecht zu erhalten und stattdessen in die Zukunft zu planen. Zum Beispiel, weil bestimmte typ- und rassespezifische Eigenschaften unbedingt kontrollierbar bleiben müssen, damit Dein Hund keine Gefahr für Dritte, Dich oder sich selbst wird.

      Denn obwohl Du es süß findest und es – verständlicherweise – Dein Herz erfreut, wenn Dein Welpe bei Besuch immer zuerst an der Tür ist und jeder Besucher Dein Hundekind niedlich findet, ist es trotzdem bei vielen Hundetypen nicht gut, wenn sie von Welpenbeinen lernen, freiverwaltet die Haustür stets als erster in Beschlag zu nehmen:

      So freundlich wird es bei vielen Hunden später nicht mehr bleiben, sobald das Revierverhalten durchkommt.

      Ähnliches gilt auch in Bezug auf Beute- und Hetzspiele bei auf Bewegungsreizen selektierten Hunderassen wie zum Beispiel Hüte- und Treibhunden oder bestimmten Terriern. Auch wenn Du es toll findest, Bälle und Quietsche-Spielzeuge zu werfen und Deinen Welpen oder Junghund hinterher rennen zu sehen, kannst Du hier unter Umständen schon den Grundstein für schwerwiegende Verhaltensstörungen oder ein später von Dir kaum noch zu kontrollierendes Beutefangverhalten legen. Und zwar auch in Bezug auf andere Artgenossen, Jogger, Radfahrer, Autos, spielende Kinder etc. pp.

      Auf solche Faktoren solltest Du als Hundehalter im besten Fall also schon regelnden Einfluss nehmen, bevor Dein Hund seine Territorialität in voller Ausprägung zeigt oder Kinder als potenzielle Beute ausmacht. Das selbe gilt natürlich auch im Kleinen. Soll Dein Hund später im Alltag bestimmte Kommandos verlässlich ausführen, dann musst Du sie ihm von Anfang an sauber beibringen und nicht selbst ständig sitz, platz, nein und aus durcheinanderkegeln und Deinen Hund raten lassen, was Du jetzt gerade gemeint hast.

      Einflussnahme misst sich nicht an ständigen Ausnahmen & Willkür

      Dein Grad an regelnder Einflussnahme misst sich nicht an ständigen Ausnahmen, dem Nachgeben oberflächlicher Impulse und emotionaler Willkür. Er misst sich für Deinen Hund an einem klaren sozialen Rahmen und Beständigkeit. Diesen Rahmen gestaltest Du mit und durch Deine Entscheidungen. Beachte dabei: Keine Entscheidung zu treffen ist immer trotzdem eine Entscheidung – nämlich die, dass sie dann im Zweifel Dein Hund oder jemand Drittes für Dich treffen treffen wird!

      Als Hundehalter hast Du tatsächlich ganz oft die Wahl, durch Deine Entscheidungen das (zukünftige) Verhalten Deines Hundes zu beeinflussen. Aber andererseits auch, mit sinnvollen Entscheidungen schon bestehende emotionale Konflikte für Dich selbst erst einmal zu entschärfen:

      Wenn Du an den oben genannten Hund denkst, der in Besuchssituationen schon seit Ewigkeiten ausrastet und sich Deiner Einflussnahme entzieht, kann es eine ganz vernünftige Entscheidung sein, Dir einzugestehen, dass Du genau dieses Problem an dieser Stelle jetzt nicht lösen kann. Du kannst Dich aber entscheiden, Deinem Hund zum Schutze anderer erst einmal einen Beißkorb einzugewöhnen, ihn mit der Leine abzusichern oder auch einfach in einen anderen Raum verfrachten und Dir dann konkret überlegen, wie Du langfristig einen Weg finden kannst, sein unerwünschtes Verhalten besser zu kontrollieren.

      In diese Überlegung gehört sinnvollerweise auch die Frage, wie Dein Hund und Du überhaupt in diese schwierige Situation gekommen seid und seit wann und warum Du die erforderliche Einflussnahme nicht (mehr) hast. Dir diese Frage ehrlich zu beantworten, bedeutet gleichzeitig, dass Du Dir Fehler bewusst machst, um langfristig nicht wieder in dieselben Fallen zu tappen.

      Möchtest Du ernsthaft Führungsqualitäten entwickeln und eine verlässliche Führungsperson für Deinen Hund werden, dann hat Dein Hund einen Anspruch darauf, dass Du Dich reflektierst und das Training nicht erneut mit den selben Schnitzern und Missvertändnissen beginnst, die ggf. dazu beigetragen haben, euch erst in diese Lage zu bringen.

      4. Handlungsfähigkeit und Handlungswille

      Entscheidungen zu treffen ist eine absolute Grundlage für Führungspersonen. Aber Deinen Entscheidungen müssen auch konkrete Handlungen folgen.

      Das konkrete Ergebnis einer aktiv getroffenen Entscheidung ist die umgesetzte Handlung. Folgt Deiner Entscheidung hingegen keine Handlung, bleibt es eben nur bei einer Idee oder einem Gedankenkonstrukt. Du bleibst passiv und Du verzichtest auf Deine Gestaltungsmöglichkeiten. Trotzdem hast Du natürlich, wie oben schon erwähnt, eine Entscheidung getroffen – nämlich die, Dich nicht zu entscheiden. Das ist dann eine sogenannte passive Entscheidung, bei der Du dem Schicksal (oder Deinem Hund…) die Wahl lässt.

      Letzteres werde ich jetzt nicht weiter ausführen, denn wenn Du diesen Artikel bis hierher gelesen hast, dürfte Dir klar sein, dass Du mit mehrheitlich passiven Entscheidungen für Deinen Hund alles andere als eine verlässliche und souveräne Führungspersönlichkeit werden wirst. Du musst ins Handeln kommen.

      Kleine Info am Rande: Wenn Du beschlossen hast, ein Verhalten Deines Hundes zu ignorieren, ist auch das eine bewusste und aktive Entscheidung und umgesetzte Handlung. Aktiv ignorieren kannst Du nämlich nur, was Du wahrgenommen hast. Ignoranz gewollt einzusetzen, ist also eine bewusste Reaktion durch Unterlassen von anderen Handlungen wie zum Beispiel dem Hund Aufmerksamkeit zu geben. Beim Ignorieren unterdrückst Du gewollt und bewusst bestimmte Reaktionen auf ein Verhalten Deines Hundes und wendest Dich stattdessen ab, guckst in die Luft oder tust etwas anderes, um Deinen Hund ins Leere laufen zu lassen. Das ist etwas gänzlich anderes, als im Sinne einer passiven Entscheidung dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.

      Handlungen beeinflussen Stimmung

      Dein Hund misst Dich und Deine Führungsqualitäten an Deinen Handlungen. Ob Du das willst oder nicht. So, wie wir Menschen das mit anderen Menschen auch tun:

      Wir vertrauen und folgen Personen, die sich durch nachvollziehbare Handlungen auszeichnen. Wir vertrauen, folgen und verlassen uns nicht auf Menschen, die unzuverlässig sind, keine oder nicht verständlichen Entscheidungen treffen, emotional unberechenbar sind oder sich durch kleinste irrelevante Einwände sofort aus dem Konzept bringen lassen. Und wir folgen aus gutem Grunde solchen Menschen nicht. Denn sie vermitteln uns weder eine verlässliche Stimmung, noch das Gefühl, sich sicher und gesichert zu fühlen. Wir messen die Verlässlichkeit anderer an ihren Taten, nicht an ihrem Nichts-Tun oder emotionalen Willkür-Entscheidungen. Genau das macht Dein Hund auch mit Dir.

      In vielen Fällen geht es bei häufigen problematischen Mensch-Hund-Beziehungen im Endeffekt tatsächlich um Emotionen und Gefühle:

      Der Mensch kann die Stimmung und Erregungslage seines Hundes nicht (mehr) beeinflussen, weil der Hund inzwischen gelernt hat, einfach selbst zu handeln, die Verantwortung zu übernehmen und eigene Lösungsstrategien für seine Probleme gefunden hat. Doch nur ein Hund, dessen Stimmung Du aktiv regeln und beeinflussen kannst, wird Dir überhaupt zuhören und sich verlässlich an Dir orientieren können und wollen.

      Und auch hier gilt: Ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, mach Dir ganz bewusst erreichbare (Zwischen-) Ziele und einen Plan.

      Handlungswille und Handlungsfähigkeit fangen im Kleinen an

      Wie schon ausgeführt, macht es bei langfristig bestehenden Problemen oft gar keinen Sinn, plötzlich die reinen Symptome in den Griff bekommen zu wollen und zu hoffen, dass es nur des einen kleinen Tricks bedarf, damit der Hund tut oder lässt, was der Mensch sich wünscht. Verhaltensweisen sind dann häufig schon ritualisiert, zudem emotional an entsprechende Schlüsselreize gekoppelt  – auch bei Dir als Mensch übrigens! – und Du kannst Deinen Hund in diesen Momenten schlicht nicht mehr wie gewünscht in seinem Verhalten beeinflussen.

      Das musst Du erst einmal so akzeptieren und Dir vergegenwärtigen, dass langfristige Ziele eben eines Weges und entsprechender Zeit bedürfen. Aber Du kannst Dir Gedanken darüber machen, wie oft im Alltag Du im Zusammensein mit Deinem Hund nicht handelst und seine Stimmung nicht beeinflusst, obwohl Du es könntest – und auch, was Dein Hund alles noch nicht kann, weil Du Dir nicht die entsprechende Zeit genommen hast, es ihm ordentlich beizubringen:

      • Kein Hund wird ordentlich an der Leine gehen, wenn Du die Leinenführung nur 3 Mal in der Woche für 2 Minuten zwischen Tür und Angel und gehetzt auf dem Weg zum Bäcker übst.
      • Kein Hund wird lernen, aufmerksam und ernsthaft zuzuhören, wenn Du immer nur belanglosen Small-Talk mit ihm betreibst.
      • Kein Hund wird zuverlässig im Restaurant oder in der Straßenbahn liegen bleiben, wenn Du die Ablage nicht fleißig genug geübt hast.
      • Kein Hund wird aufhören, andere Hunde anzupöbeln, wenn Du seine Beweggründe nicht erkennst.
      • Kein Hund wird aufhören, Passanten anzupringen, wenn Du ihm an zu langer Leine immer wieder den Erfolg dazu ermöglichst.

      Natürlich kannst Du Dir auch noch 20 weitere Videos im Netz zu Deinem Problemthema anschauen oder den sechsten Trainer beauftragen – wenn Du aber nicht im Detail hinschaust, keine Entscheidungen mit entsprechenden Handlungen triffst und dem Verhalten Deines Hundes nicht ehrlich auf den Grund gehst, dann wirst Du dauerhaft einfach nicht erfolgreich sein. Du änderst weder etwas an der Grundstimmung Deines Hundes in schwierigen Situationen, noch an Deiner und auch nichts an der Beziehungsstruktur zwischen Dir und Deinem Hund.

      Zu Handlungswillen und Handlungsfähigkeit gehört an allererster Stelle ernsthaft und ehrlich eingeplante Zeit für Deinen Hund.

      Das ist bewusste Zeit, die Du für Deinen Hund, eure Beziehung und euer Training reservierst und investierst. Du kannst mit einem sozialen Wesen nicht nebenbei komplexe Probleme lösen oder ihm kompliziertere und zusammenhängende Handlungsabläufe beibringen. Selbst wenn Du Deinem Hund bewusst Aufmerksamkeit entziehen willst, weil das im Einzelfall sinnvoll sein kann, brauchst Du dafür Zeit.

      Du musst also den Willen entwickeln, Dir selbst bewusst enstprechend zeitliche Freiräume für die Erziehung Deines Hundes zu nehmen. Dazu benötigst Du einen klaren Kopf, ein gewisses Maß an Aufgeräumtheit und kein weiteres Paket an Alltagslasten und latentem Zeitdruck, weil Dich schon die nächsten Termine und Aufgaben im Hintergrund beschäftigen. Mit Deinen Terminen hat Dein Hund nichts zu tun.

      Diese festen Zeiten mit und für Deinen Hund solltest Du deshalb auch gegen andere Widrigkeiten klar verteidigen. Solch bewusste Zeit mit Deinen Hund darf nicht regelmäßig beschnitten werden oder ausfallen, weil die Wäsche jetzt noch aufgehängt werden muss, das Telefonat mit Oma und Opa gerade wieder dazwischen kommt, die nächsten fünf Emails auf Deinem Smartphone angekommen sind und Du stattdessen aus schlechtem Gewissen dann eure gemeinsame Zeit durch 10 Minuten stupides Ballspielen ersetzt.

      Geistige Abgelenktheit und Abwesenheit verhindern (sinnvolle) aktive Handlungen und sind kein Merkmal für gute Führung.

      Es gibt für Deinen Hund keinen Grund, Dir in Konfliktsituationen zuzuhören, wenn Du Dich schon im Alltag nur auf belanglose Plauderei mit ihm beschränkst und Dich nicht im Hier & Jetzt mit ihm aufhältst. Glaubhaften Handlungswillen und sichtbare Handlungsfähigkeit erlebt Dein Hund im täglichen Zusammenleben mit Dir und nicht erst, wenn die Auseinandersetzungen schon eskalieren.

      Willst Du, dass Dein Hund Dich ernst nimmt, dann musst also auch Du ihn ernst nehmen und ensprechend agieren: Entscheidungen und Handlungen werden bei Deinem Hund nur dann glaubhaft ankommen, wenn sie zur Regel werden und nicht zur Ausnahme.

      5. Klarheit in der Kommunikation

      Kommunikation findet tatsächlich immer statt, sobald sich beispielsweise zwei Menschen auch nur wahrnehmen, Dasselbe gilt für die Kommunikation unter Hunden und der zwischen Dir und Deinem Hund. Und da Kommunikation Bestandteil von Verhalten ist, beinflusst Dein Verhalten und Deine Kommunikation auch immer Deinen Hund und umgekehrt.

      Du kannst nicht nicht kommunizieren!

      (nach Watzlawick)

      Das bedeutet, dass Deine Handlungen, Deine Mimik und Gestik, aber auch Dein Nicht-Handeln oder Ignorieren immer Bestandteil von Botschaften an und für Deinen Hund sind. Willst Du Dich detailierter mit Kommunikationsprozessen beschäftigen, empfehle ich Dir an dieser Stelle zum Nachlesen die 5 Axiome der Kommunikation aus der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick. Die führe ich an dieser Stelle nicht Punkt für Punkt auf, beziehe mich aber hintergründig durchaus darauf.

      Klarheit in der Kommunikation mit Deinem Hund heißt:

      • Sag Deinem Hund, was Du ihm wirklich sagen willst
      • Überprüfe, dass Dein Hund auch inhaltlich versteht, was Du sagst
      • Handel nach Deinem Gesagten

      Das hört sich erst einmal einfach an, ist es aber häufig nicht. Denn zur klaren Kommunikation mit Deinem Hund gehört eben nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die Körpersprache und das Verständnis um sie, ihren Einsatz und ihre Funktion. Weil Dein Hund und Du nicht derselben Spezies angehören, brauchst Du für eine gute Kommunikation also zwangsläufig ein klares Grundverständnis sowohl über Deine eigene Körpersprache als auch die von Hunden – denn Dein Hund kann nicht in Worten mit Dir sprechen.

      In verständlicher Kommunikation mit Deinem Hund zu stehen, bedeutet daher nicht, dass Du Dich allein auf Kommandos beschränken kannst. Verbale Kommandos finden wir Menschen natürlich praktisch, weil wir vom Hund darüber bestimmte Handlungen formal abfragen können wie sitz, platz, fuß. Allerdings hapert es auch hier schon ganz häufig im Alltag, weil vielen Hunden diese Signale gar nicht so sauber beigebracht wurden, als dass sie sie zuverlässig abrufen könnten. Das sind dann die klassischen Aufbaufehler oder Nachlässigkeiten im Training, für die Dein Hund nichts kann. Er spiegelt Dir damit also erst einmal nur den aktuellen Stand eures „Vokabel-Lernens“ wider.

      Klassische Missverständnisse in der Mensch-Hund-Kommunikation

      Beispiel 1 – der Rückruf:

      In der Regel kann jeder normale Hund natürlich dicht zu seinem Menschen herankommen und Kontakt zu ihm aufnehmen. Probleme enstehen da, wo Du dies gezielt abfragen willst und Deinem Hund missverständliche Botschaften sendest. Beim Rückruf ist das klassischerweise die Diskrepanz zwischen Deinem gesprochenen Wort und Deiner Körpersprache.

      1. Du rufst Deinen Hund mit „hier“ und stehst dabei frontal und besonders aufrecht, damit Dein Hund Dich gut sieht (Sag, was Du sagen willst)
      2. Dein Hund dreht sich zwar um, kommt aber weder schnell, noch freudig, sondern langsam und zögerlich (Überprüfe, ob Dein Hund Dich inhaltlich verstanden hat)
      3. Du willst schnelles Herankommen und musst daher etwas tun, um das Tempo bei Deinem Hund zu erhöhen (Handel nach Deinem Gesagten)

      In diesem Fall hast Du zwar gesagt, was Du willst, nämlich dass Dein Hund zu Dir kommen soll (Punkt 1), aber Hunde verstehen eine frontale Körperhaltung erst einmal als ein deutliches körpersprachliches Signal, auf Abstand zu bleiben. Du sendest also Deinem Hund inhaltlich eine absolut gegensätzliche Information als die, die Du ihm vermitteln wolltest (Punkt 1 und 2). Soll er also schneller und freudiger kommen, musst Du diesen Widerspruch auflösen und eine einladende, statt abwehrende Haltung einnehmen (Punkt 3).

      In diesem Beispiel verketten sich unglücklicherweise sogar oft zwei der Punkte zu einem weiteren Problem:

      Die meisten Hunde kommen trotz missverständlicher Körpersprache des Menschen dennoch irgendwann heran (und sei es nur, weil der Mensch Futter hat), sie verknüpfen aber auch das Kommando zum Rückruf mit dieser Widersprüchlichkeit – das Zögern beim Abruf wird also gleich mitgelernt. Ein solches Problem ensteht insbesondere schnell bei sensiblen oder unsicheren Hunden. Du etablierst im Zweifel den zögerlichen Rückruf, wenn Dir diese Diskrepanz in eurer Kommunikation nicht auffällt.

      Es gibt selbstverständlich auch noch ganz andere Gründe für Hunde als eine (missverständliche ) Körperhaltung, um dem Rückruf nicht Folge zu leisten. Dein Hund hat z.B. gelernt, dass Du ihn immer nur dann rufst, wenn etwas Spannendes passiert, dass er Deinen Rückruf auch einfach ignorieren kann oder er testet aus, ob Du Deinen Rückruf überhaupt durchsetzen kannst oder lieber zur Bestechung gleich demonstrativ die Fleischwurst aus der Tasche kramst.

      Und ja, es gibt individuelle Hund-Mensch-Konstellationen, wo es situativ durchaus sinnvoll ist, sehr klar, aufrecht und gerade beim Rückruf zu stehen…

      Beispiel 2 – Abgrenzen und Begrenzen

      Dein Junghund kennt das Kommando „Decke“ oder „Körbchen“, findet es aber jetzt in seiner Pubertät sinnvoll zu hinterfragen, ob Du das wirklich ernst und dauerhaft so meinst oder ob er nicht doch ein Mitgestaltungsrecht hat. Er steht also immer wieder auf und initiiert stattdessen ein Fang-mich-Spiel in der Wohnung. Solche oder ähnliche Tendenzen sind völlig normal für junge Hunde. Welche Informationen Dein Hund langfristig aus solchen Situationen mitnimmt, liegt jedoch an Dir.

      1. Du schickst Deinen Hund ins Körbchen und weist ihm mit aufrechter Körpersprache den Weg dorthin (Sag, was Du sagen willst)
      2. Dein Hund will den Platz ohne Deine Auflösung wieder verlassen, Du begrenzt ihn in seinem Tun erneut körpersprachlich und er bleibt (Überprüfe, ob Dein Hund Dich inhaltlich verstanden hat)
      3. Dann springt Dein Hund plötzlich trotzdem auf und rennt Dich wild ankläffend durch die Wohnung. Dir geht das nach der 10. Wiederholung auf den Senkel und Du gibst genervt auf (Handel nach Deinem Gesagten)

      Hier gibt es bei Punkt 1 und 2 erst mal keine Kommunikationsmissverständnisse. Dein Hund kennt das entsprechende Kommando, Deine Körpersprache ist aufrecht und damit aus Hundesicht stimmig, weil Du ihn auf Abstand schickst. Diesen Inhalt hat er auch verstanden, da er sowohl in sein Körbchen geht als auch auf Deine erneute Begrenzung zunächst einmal bleibt. Du brichst aber bei Punkt 3 Deine Handlung ab und nimmst rückwirkend damit unglücklicherweise auch gleich Punkt 1 und 2 in der Kommunikationskette zurück.

      Dein Hund lernt also, dass Du zwar sagen kannst, was Du auch sagen willst, aber er den Inhalt nicht umsetzen muss, weil Du Dich im Ergebnis nicht handlungsfähig zeigst. Entsprechend begonnene Handlungen abzubrechen ist daher ein ziemlich effektiver Weg, Deinem Hund das ausdauernde Diskutieren mit Dir beizubringen. Und das tut er nicht, um Dich zu ärgern, sondern weil Du zulässt, dass er das lernt.

      An dieser Stelle sprecht ihr beide übrigens gar nicht mehr über die Sachebene Deiner Information (bleib im Körbchen), denn die hat er verstanden. Es geht um die Beziehungsebene. Dein Hund prüft darüber, wie verlässlich Du in Deinen Entscheidungen und Handlungen letztlich für ihn als Person zu bewerten bist.

      Eine klaren Kommunikation heißt zu verstehen, welche Informationen ihr beide wirklich miteinander austauscht und ob ihr euch auf gerade auf der Sach- oder Beziehungsebene befindet. Deine Aufgabe als Führungsperson ist es, für saubere Kommunikationsprozesse zu sorgen, Missverständnisse zu minimieren und natürlich auch zuzuhören, was Dein Hund Dir mitteilt. Kommunikation ist eben vor allem eins nicht: Eine Einbahnstraße!

      6. Reflexionsvermögen

      Eine Führungsperson hat gelernt, sich selbst zu reflektieren und auch, sich von anderen reflektieren zu lassen.

      Sich zu reflektieren bedeutet dabei nicht, das zu tun, was man glaubt tun zu müssen, um es anderen recht zu machen. Es heißt, Deine eigene Entscheidungen und Handlungen auf den Prüfstand zu stellen und Dir Gedanken darüber zu machen, warum Du bestimmte Situationen erfolgreich gemeistert hast, andere aber nicht. Es ist nicht schlimm, wenn Du Fehler machst, denn die machen wir alle. Es ist aber nicht zielführend, wenn Du dieselben Fehler immer und immer wieder begehst und Dich wunderst, warum Du mit dem Kopf stetig gegen die Wand läufst. Es heißt nicht umsonst: Aus Fehlern kann man lernen!

      Latent eingeschlichene Fehler als Ursache für spätere Probleme

      Manche Fehler bemerkst natürlich Du sofort, weil sie unmittelbar und sofort Auswirkung zeigen. Das sind die, die Dir beim nächsten Mal sehr wahrscheinlich in dieser Form nicht mehr unterlaufen werden, weil das Ergebnis eindrücklich war: Dein Hund hat sich vor der ankommenden Straßenbahn erschreckt und ist vor Panik über die Straße gelaufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Du ihn beim nächsten Mal dort unangeleint laufen lassen wirst, dürfte eher gering sein.

      Dann gibt es aber auch noch die Fehler, die einem erst einmal nicht auffallen, weil sie sich erst später auswirken: Dein Hund hat z.B. schon als Welpe registriert, dass Deine Nachbarn im Garten Hühner halten, aber weil er zu klein ist, über den Zaun zu springen, schenkst Du seiner Aufregung nicht die entsprechende Aufmerksamkeit. Mit 6 Monaten ist er groß genug, den Zaun zu überwinden und macht die Hühner bei der ersten sich bietenden Gelegenheit platt.

      Nun ist das Ergebnis des letzten Beispiels natürlich leider ebenfalls ziemlich eindrucksvoll. Es zeigt aber deutlich, warum gerade die latent unbemerkten Fehler mit zeitverzögerter Auswirkung die sind, die uns in ihrer Entstehung nicht auffallen und uns plötzlich vor ein „unerklärliches“ Problem mit dem Hund stellen:

      Warum attackiert mein Hund auf einmal draußen Passanten oder andere Hunde? Wieso will er auf einmal keine Leute mehr ins Haus lassen? Weshalb wird er jetzt so aggressiv mir gegenüber, wenn ich mich zu ihm auf das Sofa setzen will? Oder, das ist das kleinste Problem, warum macht er inzwischen eigentlich kein sitz mehr, wenn ich ihm das sage?

      Fehler sind vor allem eine Chance zur Veränderung.

      Insbesondere die Entstehung von Fehlern mit verzögerter Außenwirkung erkennst Du nicht immer gleich oder ohne den reflektierenden Blick Dritter. Sich zu selbst reflektieren und reflektieren zu lassen ist also eine Grundvoraussetzung, überhaupt entsprechende Führungsqualitäten zu entwickeln.

      Dein Hund misst Dich, wie oben schon gesagt, an Deinen Handlungen. Er misst den Grad Deiner Einflussnahme und Verlässlichkeit aber auch daran, ob Du Fehler erkennst und aus Deinen eigenen Fehlern lernen kannst. Dein Hund kann Dich nicht als zuverlässig empfinden, wenn es für Dich 30 Mal ok ist, wenn er das Sitz selbstständig wieder auflöst, Du aber regelmäßig beim 31. Mal explodierst, weil er aufsteht.

      Er wird Dich auch nicht als vertrauenswürdig einstufen, wenn Du anderen Hunden gewährst, ihn als schüchternen Welpen immer wieder über den Haufen zu rennen und ihn von Dir wegschickst, während er bei Dir Schutz suchen will. Du teilst ihm stattdessen mit, dass Dir seine Probleme egal sind und legst damit vielleicht sogar den Grundstein zum Angstbeißer.

      Nun ist selbst für einen schüchternen Welpen in der Regel kein lebenslanges Drama, wenn er trotzdem einmal umgerannt wird. Weder wir Menschen noch unsere Hunde kommen durch das Leben, ohne jemals eine schlechte Erfahrung gemacht zu haben. Aber wir alle wollen gesehen werden in unseren Nöten und jemanden an der Seite haben, der uns beim nächsten Mal schützt und unterstützt und uns nicht immer wieder ins offene Messer rennen lässt oder am Ende für „Fehler“ bestraft, für deren Entstehung wir gar nicht verantwortlich sind.

      Macht Dein Hund immer wieder dieselben Fehler, dann frag Dich ehrlich, was Dein Fehler und Dein Anteil daran ist.

      7. Verlässlichkeit & Berechenbarkeit

      Ein weiteres Merkmal für gute Führungsqualitäten sind Verlässlichlichkeit und Berechenbarkeit.

      Verlässlichkeit und Berechenbarkeit beziehen sich für Deinen Hund sowohl auf einen beständigen formalen Rahmen als auch auf einen sozialen und emotionalen Rahmen.

      Formaler Rahmen:

      • klar strukturiert beigebrachte allgemeingültige Regeln und Grenzen für Deinen Hund (z.B. Besuch wird nicht angesprungen, Dein Hund bleibt auf der Decke, wenn es klingelt, der Postbote wird nicht vom Hof gejagt, Radfahrer nicht gehetzt etc.)
      • klare Regeln auch für andere im Kontakt mit Deinem Hund (Dein Hund wird beispielsweise nicht begrüsst, wenn er sich aufgeregt verhält, ein aufdringlicher fremder Hund darf jetzt nicht Deinen belästigen usw.)
      • sauber eintrainierte und unter Ablenkung verlässlich abrufbare Kommandos (z.B. platz ist platz, nein ist nein, komm ist komm!)

      Dieser formale Rahmen ist das, was eurem Alltag Struktur gibt und anhand dessen Du Deinem Hund eine Grundorientierung für euer Leben vermittelst.

      Sozial und emotional stabiler Rahmen:

      • Dein Hund sollte nicht Deine Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit oder Launenhaftigkeit im Umgang mit ihm ausbaden
      • Dein Hund ist grundsätzlich nicht für Deine mangelnde Impulskontrolle verantwortlich
      • Dein Hund ist nicht für den Grad Deiner eigenen Frustrationstoleranz zuständig

      Dein Hund wird sich über den formalen Rahmen hinaus aber nur zuverlässig und vertrauensvoll an Dir orientieren können, wenn auch der soziale und emtionale Rahmen stimmt; denn Du kannst von Deinem Hund ernsthaft nur verlangen, was Du selbst auch zu leisten in der Lage bist:

      Wenn es Dir im Alltag auf dem Spaziergang oft nicht so wichtig ist, ob Dein Hund an der Leine zieht, Du aber plötzlich sauer wirst, weil er Dich dann bei Eisglätte auch hinter sich her zerrt und Du Angst hast zu stürzen, dann badet Dein Hund Deine Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit und Launenhaftigkeit aus. Du hast ihm das ordentliche Laufen an der Leine nicht beigebracht. Woher soll er wissen, dass Glatteis ein Problem für Dich ist?

      Wenn es Dir selbst schwer fällt, Deinen aufmerksamkeitsheischenden Hund auf Abstand zu Dir zu bringen, weil er doch immer so süß guckt, während er Dich bellend in den Ärmel beißt, hat das zunächst weniger mit fehlender Impulskontrolle Deines Hundes zu tun als mit Deiner eigenen. Es ist Deine fehlende Impulskontrolle, die den Hund nicht lernen lässt, was Du an anderer Stelle willst. Süß wird er ja auch später noch gucken und nicht nur in diesem Moment – aber Du hältst es gerade emotional selbst nicht aus, den Kontakt zu ihm aufzuschieben.

      Wenn Du selbst es nicht ertragen kannst, dass Dein Hund manche seiner Wünsche und Forderungen situativ gar nicht erfüllt bekommt, dann wird er schlicht viele alltägliche Dinge, für die eine gute Frustrationstoleranz notwendig ist, später nicht leisten können – weil Du sie ihn ebenfalls nicht lernen lässt. Zum Beispiel alleine bleiben, bei Besuch Abstand zu wahren und sich ruhig zu verhalten oder eine ordentliche Leinenführigkeit. Denn all diese Dinge haben nicht nur mit einer kurzfristigen Impulskontrolle zu tun, sondern mit dem Erlernen der Fähigkeit, auf bestimmte Dinge, Bedürfnisse oder dem Nachgeben gewisser Impulse jetzt auch einmal ganz verzichten zu müssen.

      Als Führungsperson bleibst Du an allererster Stelle erst einmal bei Dir selbst und reflektierst, wie verlässlich, konsequent und berechenbar Du für Deinen Hund tatsächlich agierst.

      8. Fairness

      Als Führungspersönlichkeit solltest Du grundsätzlich fair Deinem Hund gegenüber sein:

      Du hast einen klaren Rahmen geschaffen, bist formal, sozial und emotional zuverlässig und entscheidest, kommunizierst und handelst nicht nur zum kurzfristigen, sondern auch zum langfristigen Wohlergehen Deines Hundes.

      Zu einem fairen Umgang mit Deinem Hund gehört aber nicht nur, dass Du sinnvolle Regeln aufstellst, sie durchsetzt und Deinem Hund verlässlich beibringst, was Du von ihm erwartest.

      Fairness ist auch, die Bedürfnisse Deines Hundes zu sehen und zu befriedigen

      Du machst aus einem Schutzhund keinen gemütlichen Stubenhocker, Du machst aus einer Englischen Bulldoge weder einen Agility-Meister noch einen Champion im Tricktraining und aus einem Jagdhund nicht den Kuschelkamerad für Nachbars Katze. Dein Hund bringt seine genetisch und rassespezifisch festgelegten Eigenschaften mit und will mit ihnen von Dir damit ernsthaft wahrgenommen und gesehen werden.

      Im Idealfall reflektierst Du Dich bei Deiner Hundewahl vorab, mit wieviel Territorialität, ernsthaftem Jagdverhalten, Aktionismus, Arbeitswillen oder Nervosität Du mit einem Hund  klarkommst oder wie sportlich Du eigentlich wirklich bist, wenn Du Dir eine aktive Hunderasse zulegst:

      Jeden Morgen 2 Kilometer zu joggen ist zwar schön, aber als einzige regelmäßige tägliche Auslastung für jeden gesunden Hund zu wenig.

      Wenn ein Mensch sich in Konflikten nicht gut aufgehoben fühlt, es gerne vor allem harmonisch mag oder es ihm im Alltag schlicht an entsprechender Zeit für Erziehung, Ausbildung und sinnvolle Auslastung fehlt, dann sind viele Gebrauchshunderassen und ihre Mixe in der Regel keine gute Wahl. Egal, wie hübsch man sie finden mag…

      Fairness heißt auch, Deinen Hund als Hund mit seinen Bedürfnissen, seiner Persönlichkeit und Eigenschaften ohne rosarote Brille zu sehen und ihm Möglichkeiten zur kontrollierten Entfaltung seiner hündischen und rassebedingten Eigenschaften zu geben. Die aktive Entscheidung, Dir genau diesen Hund anzuschaffen, hast Du getroffen, nicht Dein Hund.

      Und ganz zum Schluss gehört zur Fairness gegenüber Deinem Hund auch, dass Du ihm alle alle Deine verpflichtenden Wortkommandos so sauber, kleinschrittig und präzise beibringst, dass er sie auch später fehlerfrei ausführen kann. Wie gut Dein die Hund diese Handlungsabläufe nachher abrufen kann, hat – wie sovieles im Leben – mit Deiner Zeit, Genauigkeit, Geduld und Konsequenz zu tun.

      Du musst nicht die Welt führen. Es reicht, wenn Dir Dein Hund folgt.

      „Soll sich der Hund in seinem Verhälten ändern, muss sich zunächst der Mensch ändern.“

      (Erik Zimen)