Führung übernehmen – Verantwortung tragen!

Führung übernehmen – Verantwortung tragen!

Was sind Führungsqualitäten überhaupt?

Fast jeder Hundebesitzer hat von ihnen schon einmal gehört – den berüchtigten Führungsqualitäten, die es einem ermöglichen sollen, seinen Hund wie am seidenen Faden zu lenken und leiten und die die Hundeerziehung quasi zum Kinderspiel machen.

Manch ein Hundehalter kennt auch tatsächlich so einen Menschen, bei dem der eigene Hund genau das tut, was er tun soll, dem er gerne und bereitwilig folgt, während der gleiche Hund bei einem selbst manchmal nur widerwillig oder gar nicht macht, was man ihm sagt oder einem gefühlt mit Wonne auf der Nase herum tanzt.

Oder es gibt diese spezielle Person, bei der mein Hund Sicherheit findet und sich vertrauensvoll orientiert, statt sich in Ängsten, Aggression oder Nervosität zu verlieren. Und dann taucht die Frage in meinem Kopf auf: ,,Was hat dieser Mensch, was ich nicht habe?“

Gibt es nun aber überhaupt dieses eine besondere Talent, das einen zu einer Führungspersönlichkeit macht? Diesen einen Knopf, den ich nur bei mir selbst finden und drücken muss, damit es zwischen mir und meinem Hund klappt?

Die Antwort ist: Sehr wahrscheinlich nicht. Denn jemanden zu führen, ist eine komplexe Aufgabe und keine singuläre Qualifikation.

Aber wer dauerhaft ehrlich führen will, der muss an allererster Stelle Verantwortung übernehmen – und kommt um diese auch nicht herum.

Deinen Hund zu führen bedeutet, Verantwortung für ihn, seine Entwicklung und sein Handeln zu übernehmen, ihn anzuleiten, zu stützen, zu beschützen, aber ihm auch zu vermitteln, wann er sich unangemessen verhält oder sich in Gefahr begibt.

Es ist mitnichten so, dass bestimmte Menschen einfach als „Führungspersönlichkeiten“ auf die Welt kommen. Das mag es im Einzelfall eventuell auch einmal geben, dürfte aber wohl eher die Ausnahme als die Regel sein. Vielleicht helfen einem gewisse Persönlichkeitsmerkmale Führungsqualitäten zu entwickeln, sie sind aber noch lange kein alleiniger Garant dafür, tatsächlich eine souveräne Führungspersönlichkeit für seinen Hund zu sein. Auch Persönlichkeitsmerkmale sind eben nur ein Mosaiksteinchen von vielen Bausteinen, die uns zu Führungsqualitäten verhelfen können.

Das Gute ist: An den meisten dieser Bausteine kann jeder von uns arbeiten!

Was eine Führungspersönlichkeit ausmacht – die einzelnen Bausteine

  • mentale Stärke und Optimismus
  • planvolles und zielorientiertes Handeln
  • Entscheidungsfreudigkeit (auch in unpopulären Situationen)
  • Handlungsfähigkeit und Handlungswille
  • Klarheit in der Kommunikation
  • Reflexionsvermögen
  • Verlässlichkeit & Berechenbarkeit
  • Fairness

1. Mentale Stärke und Optimismus

Je stärker Du als Person mental gefestigt bist, desto weniger verspürt Du Ängste, Zweifel oder Unsicherheiten. Mentale Stärke kommt also nicht nur im Alltag, sondern insbesondere unter unbequemen, belastenden oder konfliktbesetzten Umständen zum Tragen.

Mental starke Menschen können sich einerseits auch in schwierigen Situationen auf ihr Ziel konzentrieren, andererseits lassen sie sich weniger schnell durch Rückschläge und Niederlagen entmutigen.
Sie zeichnen sich in der Regel durch ein großes Maß an Grundoptimusmus aus und gehen davon aus, dass sie entsprechende Lösungen für ihr Problem auch finden werden.
Für sie ist das Glas eher halb voll statt halb leer.

Die mentale Stärke ist also auch mitgeprägt von der eigenen Einstellung. Und Einstellungen kann man tatsächlich veränderbar trainieren – ein bisschen so, wie man auch die körperlichen Kondition trainieren kann: Von der Couchpotatoe zum Freizeitsportler.

2. Planvolles und zielorientiertes Handeln

Sich feste Ziele zu setzen und ein umsetzbarer Plan zu gestalten, sind klassische Führungsmerkmale. Wer kein Ziel und keinen Plan hat, wird nicht optimistisch an Aufgaben und Herausforderungen herangehen, sich oft den Weg zu Erfolgserlebnissen selbst verbauen oder schon scheitern, bevor er richtig angefangen hat.

Natürlich ist es in der Hundeerziehung am einfachsten, wenn Du schon vom 1. Tag an ganz klar definierte zukünftige Ziele für Dich und Deinen Hund bestimmt hast und kontinuierlich darauf hinarbeitest. Damit verhinderst Du viele Probleme, weil Du dann – sehr wahrscheinlich – von Anfang an automatisch planvoller vorgehen wirst und sowohl der Enstehung von manchen Schwierigkeiten entgegen wirkst als auch bewusster darauf achtest, Deinem Hund erwünschte Handlungen sehr genau und richtig beizubringen.

Aber seien wir ehrlich: Niemand kommt als perfekter Hundehalter auf die Welt. Fehler passieren jedem von uns, das ist menschlich. Aber wir können aus Fehlern lernen und uns aktiv dafür entscheiden zu reflektieren, warum wir entweder immer und immer wieder vor dem selben Problem stehen oder sich gewünschte Erfolge nicht einstellen.

Willst Du also zum Beispiel mehr mentale Stärke und Optimismus entwickeln und – falls notwendig –  gleichzeitig die Veränderbarkeit Deiner Einstellung schulen, brauchst Du zwingend auch erlebbaren Erfolg. Dazu ist es an allererster Stelle hilfreich, Dir ganz bewusst für tatsächlich planbare und für Dich gut erreichbare Aufgaben konkrete Zielstellungen zu setzen und Dir einen Schritt-für-Schritt-Plan zu erstellen, wie Du dieses Ziel mit Deinem Hund erreichen kannst.

Es geht dabei gar nicht unbedingt darum, dass Du sofort im „Worst-Case-Szenario“ Erfolg haben musst:

Wenn Dein Hund z.B. in Begegnungen mit Besuch seit Jahren regelmäßig völlig hysterisch geifernd aus der Jacke springt, macht es keinen Sinn, mit dem Training direkt in der Besuchssituation an der Tür zu beginnen. Du erreichst ihn in dieser Lage ohnehin nicht  mehr – denn andernfalls würde er heute dort nicht mehr ausrasten. Du brauchst es also an dieser Stelle (der Tür) nicht das 300. Mal zu probieren, wenn ihr hier schon 299 Mal miteinander gescheitert seid. Im ungünstigsten Fall verlierst Du so von Mal zu Mal nur mehr an Glaubwürdigkeit für Deinen Hund, dass Du diesen Konflikt überhaupt lösen kannst…

Positive Einstellungen erwachsen aus umsetzbaren Erfolgen. Nicht aus vorhersehbaren Misserfolgen.

Wenn es für Deinen Hund aber zusätzlich ebenso ein Problem ist, ohne große Ablenkung einfach mal 5 Minuten auf seinem Platz liegen zu bleiben, wenn er aus dem Kommando „sitz“ immer nach ein paar Sekunden wieder aufsteht oder er Dich zum Spaziergang schon an der Leine durch die Haustür zieht – dann fang stattdessen da an und nicht sofort in den regelmäßig eskalierenden Besuchssituationen.  Das heißt: Such Dir gezielt Situationen oder Übungen aus, in denen Du sehr warscheinlich erfolgreich mit Deinem Hund sein wirst.

Hast Du nämlich im Kleinen schon ein klares Ziel und einen Plan, wirst Du viel eher bemerken, wann Du Dich auf „Abwege“ begibst, keinen Einfluss nimmst, wo Du ihn nehmen könntest und wirst viel genauer darauf achten, was Dein Hund durch Dein Tun oder Unterlassen wirklich von und mit Dir lernt. Im Guten und im Schlechten, bei kleinen und bei großen Schwierigkeiten.

Allein mit diesen konkret geplanten (Zwischen-) Zielen, wirst Du schon erfolgreicher sein, als wenn Du situativ immer nur genervt auf die „Fehler“ Deines Hundes reagierst.

Mit der entsprechenden Zielsetzung, einem umsetzbaren Plan und den daraus resultierenden Erfolgserlebnissen, kannst Du tatsächlich eine aktive Veränderung Deiner Einstellung bewirken: Du wächst an Deinen eigenen Erfolgen, gerade weil Du Erfolge hast. Darauf baust Du auf.

 

Beispiel Leinenführung
Es wird für Dich und Deinen Hund viel leichter, eine ordentliche Leinenführung zu etablieren, je konkreter Du weißt, wie das Endergebnis (Ziel) für Dich und Deinen Hund dabei aussehen soll:

  • Mein Hund läuft in der Leinenführung immer auf Kniehöhe.
  • Er überholt mich nicht.
  • Er passt sich meinem Tempo an.
  • Er läuft mit mir, ohne alle Grashalme zu markieren oder Fressbares aufzusammeln.
  • Er ignoriert in der Leinenführung andere Hunde, Menschen oder sonstige Reize.
  • Er tut dies alles an durchhängender Leine.

Je unkonkreter aber Deine Zielvorstellungen sind, desto weniger kannst Du Deinem Hund beibringen, was Du von ihm erwartest:

  • Mein Hund soll nicht so doll ziehen (aber er darf eben doch ziehen)
  • Mein Hund soll nicht so viel schnüffeln (aber er darf eben doch schnüffeln)
  • Mein Hund soll nicht so plötzlich in die Leine brettern (aber darf eben doch mal in die Leine springen)
  • Mein Hund soll Passanten nicht so überschwänglich anspringen (aber er darf Passanten eben doch begrüßen)
  • Mein Hund soll sich nicht so doll bei Hundebegenungen aufregen (aber er darf sich eben doch aufregen)

All diese letzten Punkte sind in der Summe keine sauberen Informationen für Deinen Hund.

Du bietest Deinem Hund stattdessen situativ immer wieder unterschiedliche Alternativen und Ergebnismöglichkeiten für eure Leinenführung an, die er genaugenommen wahllos erraten muss. Denn im Ergebnis kommt bei Deinem Hund an, dass er eben das eine Mal an der Leinen ziehen, herumschnüffeln, in die Leine brettern, Passanten anspringen und sich in Hundebegegnungen aufregen darf, ein anderes Mal aber nicht. Je nach Deiner Tagesform und Befindlichkeit mal mehr, mal weniger. Nur – für Deine Tagesform ist nicht Dein Hund verantwortlich, sondern nur Du selbst.

Hast Du im Gegensatz ein konkretes Bild von der ordentlichen Leinenführung vor Augen, wirst Du deutlich weniger von diesen unsauberen, schwammigen und widersprüchlichen Informationen an Deinen Hund weitergeben. Du konzentrierst Dich stattdessen auf das Ziel für Dich und Deinen Hund und wirst so auch viel eher einen entsprechenden Trainingsablauf für Dich und Deinen Hund entwickeln. Gleichzeitig übst Du Dich sogar zwangsläufig darin, klarer und verständlicher  in der Kommunikation mit Deinem Hund zu werden. Eine klassische Win-win-Situation für euch beide!

Das heißt: Dir einen Plan zu machen und ein konkretes Ziel zu setzen, ist nicht nur fairer Deinem Hund gegenüber, sondern Du wirst euch beiden im Ergebnis auch viel leichter und schneller zu Erfolgserlebnisse verhelfen. Und Dir und Deinem Hund diese wichtigen Erfolge Schritt-für-Schritt verschaffen zu können, wirkt sich am Ende nicht nur auf Deine Einstellung, sondern auch auf Deine mentale Stärke aus. Denn auch mentale Stärke kann nur wachsen, wenn Du Erfolgserlebnisse hast.

Mal davon abgesehen, ist es natürlich auch für Deinen Hund viel befriedigender, wenn er eine reelle Chance hat, Dinge richtig zu machen und ihr somit zusammen an euren gemeinsamen Erfolgen wachsen könnt.

Sich feste Ziele zu setzen und einen umsetzbarer Plan zu gestalten, sind also klassische Führungsmerkmale.

3. Entscheidungsfreudigkeit (auch in unpopulären Stuationen)

Entscheidungsfreudigkeit bedeutet, dass grundsätzlich DU als Führungsperson die sinnvollen und wichtigen Entscheidungen im Leben Deines Hund triffst.

Das kann die eher trivial anmutende Entscheidung sein, dass Dein Hund wirklich in seinem Korb bleiben muss, obwohl die Kühlschranktür aufgeht, aber auch eine als situativ von Dir als heikel empfundene Anweisung. Zum Beispiel, fremden Menschen ernsthaft zu verbieten, Deinen Hund jetzt anzufassen oder anzusprechen, weil er ängstlich oder misstrauisch ist oder anderen Hundehaltern unmissverständlich mitzuteilen, dass Dein Hund jetzt keinen Kontakt zu ihrem will  – und Du übrigens genauso wenig.

Unpopuläre Entscheidungen sind absolute Anweisungen, die Du für Deinen Hund und zu seinem Wohlergehen triffst. Es sind Verfügungen, die durchaus gegen die aktuellen Wünsche und den Willen Deines Hundes sein können, genauso oft aber auch gegen den Willen und die Wünsche anderer Menschen oder Hundehalter. Es sind Entscheidungen, die jedoch fast immer die Weichen für die Zukunft Deines Hundes stellen:

  • Am Kühlschrank kannst Du üben, das Dein Hund später im Restaurant nicht die Servicekraft mit dem Schnitzelteller anspringt und stattdessen gechillt unter dem Tisch liegen bleibt. Eine absolute Grundvoraussetzung, dass Du ihn später also überhaupt mit in ein Restaurant, eine Eisdiele oder nur zur Einladung zum Abendessen bei Freunden mitnehmen kannst.
  • Gezielt Übergriffigkeiten von anderen Menschen oder Hunden gegenüber Deinem eigenen Hund abzuwehren, kann im Einzelfall den ernsthaften Unterschied ausmachen, ob Dein Vierbeiner im späteren Verlauf seiner Entwicklung und Lernerfahrungen zum Beißer wird oder nicht.

Mit klaren Entscheidungen strukturierst Du Deine zukünftige Einflussnahme auf das Verhalten und das Weltbild Deines Hundes.

Als Entscheidungsperson bist Du maßgeblich für Deinen Hund und seine Verhaltensentwicklung mitverantwortlich. Du bist oder wirst Teil von (späteren) Problemen, wenn Du aus falsch verstandener Höflichkeit gegenüber Dritten zulässt, dass sich Dein Hund in Situationen widerfindet, in denen er überfordert ist und Du nicht eingreifst, wenn er von Dir entweder Schutz oder andererseits eine klare Ansage benötigt.

Entscheidungen für Deinen Hund zu treffen bedeutet übrigens oft auch, Entscheidungen gegen Deine eigenen momentanen Befindlichkeiten, Wünsche, Vorstellungen und emotionale Sehnsüchte aufrecht zu erhalten und stattdessen in die Zukunft zu planen. Zum Beispiel, weil bestimmte typ- und rassespezifische Eigenschaften unbedingt kontrollierbar bleiben müssen, damit Dein Hund keine Gefahr für Dritte, Dich oder sich selbst wird.

Denn obwohl Du es süß findest und es – verständlicherweise – Dein Herz erfreut, wenn Dein Welpe bei Besuch immer zuerst an der Tür ist und jeder Besucher Dein Hundekind niedlich findet, ist es trotzdem bei vielen Hundetypen nicht gut, wenn sie von Welpenbeinen lernen, freiverwaltet die Haustür stets als erster in Beschlag zu nehmen:

So freundlich wird es bei vielen Hunden später nicht mehr bleiben, sobald das Revierverhalten durchkommt.

Ähnliches gilt auch in Bezug auf Beute- und Hetzspiele bei auf Bewegungsreizen selektierten Hunderassen wie zum Beispiel Hüte- und Treibhunden oder bestimmten Terriern. Auch wenn Du es toll findest, Bälle und Quietsche-Spielzeuge zu werfen und Deinen Welpen oder Junghund hinterher rennen zu sehen, kannst Du hier unter Umständen schon den Grundstein für schwerwiegende Verhaltensstörungen oder ein später von Dir kaum noch zu kontrollierendes Beutefangverhalten legen. Und zwar auch in Bezug auf andere Artgenossen, Jogger, Radfahrer, Autos, spielende Kinder etc. pp.

Auf solche Faktoren solltest Du als Hundehalter im besten Fall also schon regelnden Einfluss nehmen, bevor Dein Hund seine Territorialität in voller Ausprägung zeigt oder Kinder als potenzielle Beute ausmacht. Das selbe gilt natürlich auch im Kleinen. Soll Dein Hund später im Alltag bestimmte Kommandos verlässlich ausführen, dann musst Du sie ihm von Anfang an sauber beibringen und nicht selbst ständig sitz, platz, nein und aus durcheinanderkegeln und Deinen Hund raten lassen, was Du jetzt gerade gemeint hast.

Einflussnahme misst sich nicht an ständigen Ausnahmen & Willkür

Dein Grad an regelnder Einflussnahme misst sich nicht an ständigen Ausnahmen, dem Nachgeben oberflächlicher Impulse und emotionaler Willkür. Er misst sich für Deinen Hund an einem klaren sozialen Rahmen und Beständigkeit. Diesen Rahmen gestaltest Du mit und durch Deine Entscheidungen. Beachte dabei: Keine Entscheidung zu treffen ist immer trotzdem eine Entscheidung – nämlich die, dass sie dann im Zweifel Dein Hund oder jemand Drittes für Dich treffen treffen wird!

Als Hundehalter hast Du tatsächlich ganz oft die Wahl, durch Deine Entscheidungen das (zukünftige) Verhalten Deines Hundes zu beeinflussen. Aber andererseits auch, mit sinnvollen Entscheidungen schon bestehende emotionale Konflikte für Dich selbst erst einmal zu entschärfen:

Wenn Du an den oben genannten Hund denkst, der in Besuchssituationen schon seit Ewigkeiten ausrastet und sich Deiner Einflussnahme entzieht, kann es eine ganz vernünftige Entscheidung sein, Dir einzugestehen, dass Du genau dieses Problem an dieser Stelle jetzt nicht lösen kann. Du kannst Dich aber entscheiden, Deinem Hund zum Schutze anderer erst einmal einen Beißkorb einzugewöhnen, ihn mit der Leine abzusichern oder auch einfach in einen anderen Raum verfrachten und Dir dann konkret überlegen, wie Du langfristig einen Weg finden kannst, sein unerwünschtes Verhalten besser zu kontrollieren.

In diese Überlegung gehört sinnvollerweise auch die Frage, wie Dein Hund und Du überhaupt in diese schwierige Situation gekommen seid und seit wann und warum Du die erforderliche Einflussnahme nicht (mehr) hast. Dir diese Frage ehrlich zu beantworten, bedeutet gleichzeitig, dass Du Dir Fehler bewusst machst, um langfristig nicht wieder in dieselben Fallen zu tappen.

Möchtest Du ernsthaft Führungsqualitäten entwickeln und eine verlässliche Führungsperson für Deinen Hund werden, dann hat Dein Hund einen Anspruch darauf, dass Du Dich reflektierst und das Training nicht erneut mit den selben Schnitzern und Missvertändnissen beginnst, die ggf. dazu beigetragen haben, euch erst in diese Lage zu bringen.

4. Handlungsfähigkeit und Handlungswille

Entscheidungen zu treffen ist eine absolute Grundlage für Führungspersonen. Aber Deinen Entscheidungen müssen auch konkrete Handlungen folgen.

Das konkrete Ergebnis einer aktiv getroffenen Entscheidung ist die umgesetzte Handlung. Folgt Deiner Entscheidung hingegen keine Handlung, bleibt es eben nur bei einer Idee oder einem Gedankenkonstrukt. Du bleibst passiv und Du verzichtest auf Deine Gestaltungsmöglichkeiten. Trotzdem hast Du natürlich, wie oben schon erwähnt, eine Entscheidung getroffen – nämlich die, Dich nicht zu entscheiden. Das ist dann eine sogenannte passive Entscheidung, bei der Du dem Schicksal (oder Deinem Hund…) die Wahl lässt.

Letzteres werde ich jetzt nicht weiter ausführen, denn wenn Du diesen Artikel bis hierher gelesen hast, dürfte Dir klar sein, dass Du mit mehrheitlich passiven Entscheidungen für Deinen Hund alles andere als eine verlässliche und souveräne Führungspersönlichkeit werden wirst. Du musst ins Handeln kommen.

Kleine Info am Rande: Wenn Du beschlossen hast, ein Verhalten Deines Hundes zu ignorieren, ist auch das eine bewusste und aktive Entscheidung und umgesetzte Handlung. Aktiv ignorieren kannst Du nämlich nur, was Du wahrgenommen hast. Ignoranz gewollt einzusetzen, ist also eine bewusste Reaktion durch Unterlassen von anderen Handlungen wie zum Beispiel dem Hund Aufmerksamkeit zu geben. Beim Ignorieren unterdrückst Du gewollt und bewusst bestimmte Reaktionen auf ein Verhalten Deines Hundes und wendest Dich stattdessen ab, guckst in die Luft oder tust etwas anderes, um Deinen Hund ins Leere laufen zu lassen. Das ist etwas gänzlich anderes, als im Sinne einer passiven Entscheidung dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.

Handlungen beeinflussen Stimmung

Dein Hund misst Dich und Deine Führungsqualitäten an Deinen Handlungen. Ob Du das willst oder nicht. So, wie wir Menschen das mit anderen Menschen auch tun:

Wir vertrauen und folgen Personen, die sich durch nachvollziehbare Handlungen auszeichnen. Wir vertrauen, folgen und verlassen uns nicht auf Menschen, die unzuverlässig sind, keine oder nicht verständlichen Entscheidungen treffen, emotional unberechenbar sind oder sich durch kleinste irrelevante Einwände sofort aus dem Konzept bringen lassen. Und wir folgen aus gutem Grunde solchen Menschen nicht. Denn sie vermitteln uns weder eine verlässliche Stimmung, noch das Gefühl, sich sicher und gesichert zu fühlen. Wir messen die Verlässlichkeit anderer an ihren Taten, nicht an ihrem Nichts-Tun oder emotionalen Willkür-Entscheidungen. Genau das macht Dein Hund auch mit Dir.

In vielen Fällen geht es bei häufigen problematischen Mensch-Hund-Beziehungen im Endeffekt tatsächlich um Emotionen und Gefühle:

Der Mensch kann die Stimmung und Erregungslage seines Hundes nicht (mehr) beeinflussen, weil der Hund inzwischen gelernt hat, einfach selbst zu handeln, die Verantwortung zu übernehmen und eigene Lösungsstrategien für seine Probleme gefunden hat. Doch nur ein Hund, dessen Stimmung Du aktiv regeln und beeinflussen kannst, wird Dir überhaupt zuhören und sich verlässlich an Dir orientieren können und wollen.

Und auch hier gilt: Ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, mach Dir ganz bewusst erreichbare (Zwischen-) Ziele und einen Plan.

Handlungswille und Handlungsfähigkeit fangen im Kleinen an

Wie schon ausgeführt, macht es bei langfristig bestehenden Problemen oft gar keinen Sinn, plötzlich die reinen Symptome in den Griff bekommen zu wollen und zu hoffen, dass es nur des einen kleinen Tricks bedarf, damit der Hund tut oder lässt, was der Mensch sich wünscht. Verhaltensweisen sind dann häufig schon ritualisiert, zudem emotional an entsprechende Schlüsselreize gekoppelt  – auch bei Dir als Mensch übrigens! – und Du kannst Deinen Hund in diesen Momenten schlicht nicht mehr wie gewünscht in seinem Verhalten beeinflussen.

Das musst Du erst einmal so akzeptieren und Dir vergegenwärtigen, dass langfristige Ziele eben eines Weges und entsprechender Zeit bedürfen. Aber Du kannst Dir Gedanken darüber machen, wie oft im Alltag Du im Zusammensein mit Deinem Hund nicht handelst und seine Stimmung nicht beeinflusst, obwohl Du es könntest – und auch, was Dein Hund alles noch nicht kann, weil Du Dir nicht die entsprechende Zeit genommen hast, es ihm ordentlich beizubringen:

  • Kein Hund wird ordentlich an der Leine gehen, wenn Du die Leinenführung nur 3 Mal in der Woche für 2 Minuten zwischen Tür und Angel und gehetzt auf dem Weg zum Bäcker übst.
  • Kein Hund wird lernen, aufmerksam und ernsthaft zuzuhören, wenn Du immer nur belanglosen Small-Talk mit ihm betreibst.
  • Kein Hund wird zuverlässig im Restaurant oder in der Straßenbahn liegen bleiben, wenn Du die Ablage nicht fleißig genug geübt hast.
  • Kein Hund wird aufhören, andere Hunde anzupöbeln, wenn Du seine Beweggründe nicht erkennst.
  • Kein Hund wird aufhören, Passanten anzupringen, wenn Du ihm an zu langer Leine immer wieder den Erfolg dazu ermöglichst.

Natürlich kannst Du Dir auch noch 20 weitere Videos im Netz zu Deinem Problemthema anschauen oder den sechsten Trainer beauftragen – wenn Du aber nicht im Detail hinschaust, keine Entscheidungen mit entsprechenden Handlungen triffst und dem Verhalten Deines Hundes nicht ehrlich auf den Grund gehst, dann wirst Du dauerhaft einfach nicht erfolgreich sein. Du änderst weder etwas an der Grundstimmung Deines Hundes in schwierigen Situationen, noch an Deiner und auch nichts an der Beziehungsstruktur zwischen Dir und Deinem Hund.

Zu Handlungswillen und Handlungsfähigkeit gehört an allererster Stelle ernsthaft und ehrlich eingeplante Zeit für Deinen Hund.

Das ist bewusste Zeit, die Du für Deinen Hund, eure Beziehung und euer Training reservierst und investierst. Du kannst mit einem sozialen Wesen nicht nebenbei komplexe Probleme lösen oder ihm kompliziertere und zusammenhängende Handlungsabläufe beibringen. Selbst wenn Du Deinem Hund bewusst Aufmerksamkeit entziehen willst, weil das im Einzelfall sinnvoll sein kann, brauchst Du dafür Zeit.

Du musst also den Willen entwickeln, Dir selbst bewusst enstprechend zeitliche Freiräume für die Erziehung Deines Hundes zu nehmen. Dazu benötigst Du einen klaren Kopf, ein gewisses Maß an Aufgeräumtheit und kein weiteres Paket an Alltagslasten und latentem Zeitdruck, weil Dich schon die nächsten Termine und Aufgaben im Hintergrund beschäftigen. Mit Deinen Terminen hat Dein Hund nichts zu tun.

Diese festen Zeiten mit und für Deinen Hund solltest Du deshalb auch gegen andere Widrigkeiten klar verteidigen. Solch bewusste Zeit mit Deinen Hund darf nicht regelmäßig beschnitten werden oder ausfallen, weil die Wäsche jetzt noch aufgehängt werden muss, das Telefonat mit Oma und Opa gerade wieder dazwischen kommt, die nächsten fünf Emails auf Deinem Smartphone angekommen sind und Du stattdessen aus schlechtem Gewissen dann eure gemeinsame Zeit durch 10 Minuten stupides Ballspielen ersetzt.

Geistige Abgelenktheit und Abwesenheit verhindern (sinnvolle) aktive Handlungen und sind kein Merkmal für gute Führung.

Es gibt für Deinen Hund keinen Grund, Dir in Konfliktsituationen zuzuhören, wenn Du Dich schon im Alltag nur auf belanglose Plauderei mit ihm beschränkst und Dich nicht im Hier & Jetzt mit ihm aufhältst. Glaubhaften Handlungswillen und sichtbare Handlungsfähigkeit erlebt Dein Hund im täglichen Zusammenleben mit Dir und nicht erst, wenn die Auseinandersetzungen schon eskalieren.

Willst Du, dass Dein Hund Dich ernst nimmt, dann musst also auch Du ihn ernst nehmen und ensprechend agieren: Entscheidungen und Handlungen werden bei Deinem Hund nur dann glaubhaft ankommen, wenn sie zur Regel werden und nicht zur Ausnahme.

5. Klarheit in der Kommunikation

Kommunikation findet tatsächlich immer statt, sobald sich beispielsweise zwei Menschen auch nur wahrnehmen, Dasselbe gilt für die Kommunikation unter Hunden und der zwischen Dir und Deinem Hund. Und da Kommunikation Bestandteil von Verhalten ist, beinflusst Dein Verhalten und Deine Kommunikation auch immer Deinen Hund und umgekehrt.

Du kannst nicht nicht kommunizieren!

(nach Watzlawick)

Das bedeutet, dass Deine Handlungen, Deine Mimik und Gestik, aber auch Dein Nicht-Handeln oder Ignorieren immer Bestandteil von Botschaften an und für Deinen Hund sind. Willst Du Dich detailierter mit Kommunikationsprozessen beschäftigen, empfehle ich Dir an dieser Stelle zum Nachlesen die 5 Axiome der Kommunikation aus der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick. Die führe ich an dieser Stelle nicht Punkt für Punkt auf, beziehe mich aber hintergründig durchaus darauf.

Klarheit in der Kommunikation mit Deinem Hund heißt:

  • Sag Deinem Hund, was Du ihm wirklich sagen willst
  • Überprüfe, dass Dein Hund auch inhaltlich versteht, was Du sagst
  • Handel nach Deinem Gesagten

Das hört sich erst einmal einfach an, ist es aber häufig nicht. Denn zur klaren Kommunikation mit Deinem Hund gehört eben nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die Körpersprache und das Verständnis um sie, ihren Einsatz und ihre Funktion. Weil Dein Hund und Du nicht derselben Spezies angehören, brauchst Du für eine gute Kommunikation also zwangsläufig ein klares Grundverständnis sowohl über Deine eigene Körpersprache als auch die von Hunden – denn Dein Hund kann nicht in Worten mit Dir sprechen.

In verständlicher Kommunikation mit Deinem Hund zu stehen, bedeutet daher nicht, dass Du Dich allein auf Kommandos beschränken kannst. Verbale Kommandos finden wir Menschen natürlich praktisch, weil wir vom Hund darüber bestimmte Handlungen formal abfragen können wie sitz, platz, fuß. Allerdings hapert es auch hier schon ganz häufig im Alltag, weil vielen Hunden diese Signale gar nicht so sauber beigebracht wurden, als dass sie sie zuverlässig abrufen könnten. Das sind dann die klassischen Aufbaufehler oder Nachlässigkeiten im Training, für die Dein Hund nichts kann. Er spiegelt Dir damit also erst einmal nur den aktuellen Stand eures „Vokabel-Lernens“ wider.

Klassische Missverständnisse in der Mensch-Hund-Kommunikation

Beispiel 1 – der Rückruf:

In der Regel kann jeder normale Hund natürlich dicht zu seinem Menschen herankommen und Kontakt zu ihm aufnehmen. Probleme enstehen da, wo Du dies gezielt abfragen willst und Deinem Hund missverständliche Botschaften sendest. Beim Rückruf ist das klassischerweise die Diskrepanz zwischen Deinem gesprochenen Wort und Deiner Körpersprache.

1. Du rufst Deinen Hund mit „hier“ und stehst dabei frontal und besonders aufrecht, damit Dein Hund Dich gut sieht (Sag, was Du sagen willst)
2. Dein Hund dreht sich zwar um, kommt aber weder schnell, noch freudig, sondern langsam und zögerlich (Überprüfe, ob Dein Hund Dich inhaltlich verstanden hat)
3. Du willst schnelles Herankommen und musst daher etwas tun, um das Tempo bei Deinem Hund zu erhöhen (Handel nach Deinem Gesagten)

In diesem Fall hast Du zwar gesagt, was Du willst, nämlich dass Dein Hund zu Dir kommen soll (Punkt 1), aber Hunde verstehen eine frontale Körperhaltung erst einmal als ein deutliches körpersprachliches Signal, auf Abstand zu bleiben. Du sendest also Deinem Hund inhaltlich eine absolut gegensätzliche Information als die, die Du ihm vermitteln wolltest (Punkt 1 und 2). Soll er also schneller und freudiger kommen, musst Du diesen Widerspruch auflösen und eine einladende, statt abwehrende Haltung einnehmen (Punkt 3).

In diesem Beispiel verketten sich unglücklicherweise sogar oft zwei der Punkte zu einem weiteren Problem:

Die meisten Hunde kommen trotz missverständlicher Körpersprache des Menschen dennoch irgendwann heran (und sei es nur, weil der Mensch Futter hat), sie verknüpfen aber auch das Kommando zum Rückruf mit dieser Widersprüchlichkeit – das Zögern beim Abruf wird also gleich mitgelernt. Ein solches Problem ensteht insbesondere schnell bei sensiblen oder unsicheren Hunden. Du etablierst im Zweifel den zögerlichen Rückruf, wenn Dir diese Diskrepanz in eurer Kommunikation nicht auffällt.

Es gibt selbstverständlich auch noch ganz andere Gründe für Hunde als eine (missverständliche ) Körperhaltung, um dem Rückruf nicht Folge zu leisten. Dein Hund hat z.B. gelernt, dass Du ihn immer nur dann rufst, wenn etwas Spannendes passiert, dass er Deinen Rückruf auch einfach ignorieren kann oder er testet aus, ob Du Deinen Rückruf überhaupt durchsetzen kannst oder lieber zur Bestechung gleich demonstrativ die Fleischwurst aus der Tasche kramst.

Und ja, es gibt individuelle Hund-Mensch-Konstellationen, wo es situativ durchaus sinnvoll ist, sehr klar, aufrecht und gerade beim Rückruf zu stehen…

Beispiel 2 – Abgrenzen und Begrenzen

Dein Junghund kennt das Kommando „Decke“ oder „Körbchen“, findet es aber jetzt in seiner Pubertät sinnvoll zu hinterfragen, ob Du das wirklich ernst und dauerhaft so meinst oder ob er nicht doch ein Mitgestaltungsrecht hat. Er steht also immer wieder auf und initiiert stattdessen ein Fang-mich-Spiel in der Wohnung. Solche oder ähnliche Tendenzen sind völlig normal für junge Hunde. Welche Informationen Dein Hund langfristig aus solchen Situationen mitnimmt, liegt jedoch an Dir.

1. Du schickst Deinen Hund ins Körbchen und weist ihm mit aufrechter Körpersprache den Weg dorthin (Sag, was Du sagen willst)
2. Dein Hund will den Platz ohne Deine Auflösung wieder verlassen, Du begrenzt ihn in seinem Tun erneut körpersprachlich und er bleibt (Überprüfe, ob Dein Hund Dich inhaltlich verstanden hat)
3. Dann springt Dein Hund plötzlich trotzdem auf und rennt Dich wild ankläffend durch die Wohnung. Dir geht das nach der 10. Wiederholung auf den Senkel und Du gibst genervt auf (Handel nach Deinem Gesagten)

Hier gibt es bei Punkt 1 und 2 erst mal keine Kommunikationsmissverständnisse. Dein Hund kennt das entsprechende Kommando, Deine Körpersprache ist aufrecht und damit aus Hundesicht stimmig, weil Du ihn auf Abstand schickst. Diesen Inhalt hat er auch verstanden, da er sowohl in sein Körbchen geht als auch auf Deine erneute Begrenzung zunächst einmal bleibt. Du brichst aber bei Punkt 3 Deine Handlung ab und nimmst rückwirkend damit unglücklicherweise auch gleich Punkt 1 und 2 in der Kommunikationskette zurück.

Dein Hund lernt also, dass Du zwar sagen kannst, was Du auch sagen willst, aber er den Inhalt nicht umsetzen muss, weil Du Dich im Ergebnis nicht handlungsfähig zeigst. Entsprechend begonnene Handlungen abzubrechen ist daher ein ziemlich effektiver Weg, Deinem Hund das ausdauernde Diskutieren mit Dir beizubringen. Und das tut er nicht, um Dich zu ärgern, sondern weil Du zulässt, dass er das lernt.

An dieser Stelle sprecht ihr beide übrigens gar nicht mehr über die Sachebene Deiner Information (bleib im Körbchen), denn die hat er verstanden. Es geht um die Beziehungsebene. Dein Hund prüft darüber, wie verlässlich Du in Deinen Entscheidungen und Handlungen letztlich für ihn als Person zu bewerten bist.

Eine klaren Kommunikation heißt zu verstehen, welche Informationen ihr beide wirklich miteinander austauscht und ob ihr euch auf gerade auf der Sach- oder Beziehungsebene befindet. Deine Aufgabe als Führungsperson ist es, für saubere Kommunikationsprozesse zu sorgen, Missverständnisse zu minimieren und natürlich auch zuzuhören, was Dein Hund Dir mitteilt. Kommunikation ist eben vor allem eins nicht: Eine Einbahnstraße!

6. Reflexionsvermögen

Eine Führungsperson hat gelernt, sich selbst zu reflektieren und auch, sich von anderen reflektieren zu lassen.

Sich zu reflektieren bedeutet dabei nicht, das zu tun, was man glaubt tun zu müssen, um es anderen recht zu machen. Es heißt, Deine eigene Entscheidungen und Handlungen auf den Prüfstand zu stellen und Dir Gedanken darüber zu machen, warum Du bestimmte Situationen erfolgreich gemeistert hast, andere aber nicht. Es ist nicht schlimm, wenn Du Fehler machst, denn die machen wir alle. Es ist aber nicht zielführend, wenn Du dieselben Fehler immer und immer wieder begehst und Dich wunderst, warum Du mit dem Kopf stetig gegen die Wand läufst. Es heißt nicht umsonst: Aus Fehlern kann man lernen!

Latent eingeschlichene Fehler als Ursache für spätere Probleme

Manche Fehler bemerkst natürlich Du sofort, weil sie unmittelbar und sofort Auswirkung zeigen. Das sind die, die Dir beim nächsten Mal sehr wahrscheinlich in dieser Form nicht mehr unterlaufen werden, weil das Ergebnis eindrücklich war: Dein Hund hat sich vor der ankommenden Straßenbahn erschreckt und ist vor Panik über die Straße gelaufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Du ihn beim nächsten Mal dort unangeleint laufen lassen wirst, dürfte eher gering sein.

Dann gibt es aber auch noch die Fehler, die einem erst einmal nicht auffallen, weil sie sich erst später auswirken: Dein Hund hat z.B. schon als Welpe registriert, dass Deine Nachbarn im Garten Hühner halten, aber weil er zu klein ist, über den Zaun zu springen, schenkst Du seiner Aufregung nicht die entsprechende Aufmerksamkeit. Mit 6 Monaten ist er groß genug, den Zaun zu überwinden und macht die Hühner bei der ersten sich bietenden Gelegenheit platt.

Nun ist das Ergebnis des letzten Beispiels natürlich leider ebenfalls ziemlich eindrucksvoll. Es zeigt aber deutlich, warum gerade die latent unbemerkten Fehler mit zeitverzögerter Auswirkung die sind, die uns in ihrer Entstehung nicht auffallen und uns plötzlich vor ein „unerklärliches“ Problem mit dem Hund stellen:

Warum attackiert mein Hund auf einmal draußen Passanten oder andere Hunde? Wieso will er auf einmal keine Leute mehr ins Haus lassen? Weshalb wird er jetzt so aggressiv mir gegenüber, wenn ich mich zu ihm auf das Sofa setzen will? Oder, das ist das kleinste Problem, warum macht er inzwischen eigentlich kein sitz mehr, wenn ich ihm das sage?

Fehler sind vor allem eine Chance zur Veränderung.

Insbesondere die Entstehung von Fehlern mit verzögerter Außenwirkung erkennst Du nicht immer gleich oder ohne den reflektierenden Blick Dritter. Sich zu selbst reflektieren und reflektieren zu lassen ist also eine Grundvoraussetzung, überhaupt entsprechende Führungsqualitäten zu entwickeln.

Dein Hund misst Dich, wie oben schon gesagt, an Deinen Handlungen. Er misst den Grad Deiner Einflussnahme und Verlässlichkeit aber auch daran, ob Du Fehler erkennst und aus Deinen eigenen Fehlern lernen kannst. Dein Hund kann Dich nicht als zuverlässig empfinden, wenn es für Dich 30 Mal ok ist, wenn er das Sitz selbstständig wieder auflöst, Du aber regelmäßig beim 31. Mal explodierst, weil er aufsteht.

Er wird Dich auch nicht als vertrauenswürdig einstufen, wenn Du anderen Hunden gewährst, ihn als schüchternen Welpen immer wieder über den Haufen zu rennen und ihn von Dir wegschickst, während er bei Dir Schutz suchen will. Du teilst ihm stattdessen mit, dass Dir seine Probleme egal sind und legst damit vielleicht sogar den Grundstein zum Angstbeißer.

Nun ist selbst für einen schüchternen Welpen in der Regel kein lebenslanges Drama, wenn er trotzdem einmal umgerannt wird. Weder wir Menschen noch unsere Hunde kommen durch das Leben, ohne jemals eine schlechte Erfahrung gemacht zu haben. Aber wir alle wollen gesehen werden in unseren Nöten und jemanden an der Seite haben, der uns beim nächsten Mal schützt und unterstützt und uns nicht immer wieder ins offene Messer rennen lässt oder am Ende für „Fehler“ bestraft, für deren Entstehung wir gar nicht verantwortlich sind.

Macht Dein Hund immer wieder dieselben Fehler, dann frag Dich ehrlich, was Dein Fehler und Dein Anteil daran ist.

7. Verlässlichkeit & Berechenbarkeit

Ein weiteres Merkmal für gute Führungsqualitäten sind Verlässlichlichkeit und Berechenbarkeit.

Verlässlichkeit und Berechenbarkeit beziehen sich für Deinen Hund sowohl auf einen beständigen formalen Rahmen als auch auf einen sozialen und emotionalen Rahmen.

Formaler Rahmen:

  • klar strukturiert beigebrachte allgemeingültige Regeln und Grenzen für Deinen Hund (z.B. Besuch wird nicht angesprungen, Dein Hund bleibt auf der Decke, wenn es klingelt, der Postbote wird nicht vom Hof gejagt, Radfahrer nicht gehetzt etc.)
  • klare Regeln auch für andere im Kontakt mit Deinem Hund (Dein Hund wird beispielsweise nicht begrüsst, wenn er sich aufgeregt verhält, ein aufdringlicher fremder Hund darf jetzt nicht Deinen belästigen usw.)
  • sauber eintrainierte und unter Ablenkung verlässlich abrufbare Kommandos (z.B. platz ist platz, nein ist nein, komm ist komm!)

Dieser formale Rahmen ist das, was eurem Alltag Struktur gibt und anhand dessen Du Deinem Hund eine Grundorientierung für euer Leben vermittelst.

Sozial und emotional stabiler Rahmen:

  • Dein Hund sollte nicht Deine Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit oder Launenhaftigkeit im Umgang mit ihm ausbaden
  • Dein Hund ist grundsätzlich nicht für Deine mangelnde Impulskontrolle verantwortlich
  • Dein Hund ist nicht für den Grad Deiner eigenen Frustrationstoleranz zuständig

Dein Hund wird sich über den formalen Rahmen hinaus aber nur zuverlässig und vertrauensvoll an Dir orientieren können, wenn auch der soziale und emtionale Rahmen stimmt; denn Du kannst von Deinem Hund ernsthaft nur verlangen, was Du selbst auch zu leisten in der Lage bist:

Wenn es Dir im Alltag auf dem Spaziergang oft nicht so wichtig ist, ob Dein Hund an der Leine zieht, Du aber plötzlich sauer wirst, weil er Dich dann bei Eisglätte auch hinter sich her zerrt und Du Angst hast zu stürzen, dann badet Dein Hund Deine Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit und Launenhaftigkeit aus. Du hast ihm das ordentliche Laufen an der Leine nicht beigebracht. Woher soll er wissen, dass Glatteis ein Problem für Dich ist?

Wenn es Dir selbst schwer fällt, Deinen aufmerksamkeitsheischenden Hund auf Abstand zu Dir zu bringen, weil er doch immer so süß guckt, während er Dich bellend in den Ärmel beißt, hat das zunächst weniger mit fehlender Impulskontrolle Deines Hundes zu tun als mit Deiner eigenen. Es ist Deine fehlende Impulskontrolle, die den Hund nicht lernen lässt, was Du an anderer Stelle willst. Süß wird er ja auch später noch gucken und nicht nur in diesem Moment – aber Du hältst es gerade emotional selbst nicht aus, den Kontakt zu ihm aufzuschieben.

Wenn Du selbst es nicht ertragen kannst, dass Dein Hund manche seiner Wünsche und Forderungen situativ gar nicht erfüllt bekommt, dann wird er schlicht viele alltägliche Dinge, für die eine gute Frustrationstoleranz notwendig ist, später nicht leisten können – weil Du sie ihn ebenfalls nicht lernen lässt. Zum Beispiel alleine bleiben, bei Besuch Abstand zu wahren und sich ruhig zu verhalten oder eine ordentliche Leinenführigkeit. Denn all diese Dinge haben nicht nur mit einer kurzfristigen Impulskontrolle zu tun, sondern mit dem Erlernen der Fähigkeit, auf bestimmte Dinge, Bedürfnisse oder dem Nachgeben gewisser Impulse jetzt auch einmal ganz verzichten zu müssen.

Als Führungsperson bleibst Du an allererster Stelle erst einmal bei Dir selbst und reflektierst, wie verlässlich, konsequent und berechenbar Du für Deinen Hund tatsächlich agierst.

8. Fairness

Als Führungspersönlichkeit solltest Du grundsätzlich fair Deinem Hund gegenüber sein:

Du hast einen klaren Rahmen geschaffen, bist formal, sozial und emotional zuverlässig und entscheidest, kommunizierst und handelst nicht nur zum kurzfristigen, sondern auch zum langfristigen Wohlergehen Deines Hundes.

Zu einem fairen Umgang mit Deinem Hund gehört aber nicht nur, dass Du sinnvolle Regeln aufstellst, sie durchsetzt und Deinem Hund verlässlich beibringst, was Du von ihm erwartest.

Fairness ist auch, die Bedürfnisse Deines Hundes zu sehen und zu befriedigen

Du machst aus einem Schutzhund keinen gemütlichen Stubenhocker, Du machst aus einer Englischen Bulldoge weder einen Agility-Meister noch einen Champion im Tricktraining und aus einem Jagdhund nicht den Kuschelkamerad für Nachbars Katze. Dein Hund bringt seine genetisch und rassespezifisch festgelegten Eigenschaften mit und will mit ihnen von Dir damit ernsthaft wahrgenommen und gesehen werden.

Im Idealfall reflektierst Du Dich bei Deiner Hundewahl vorab, mit wieviel Territorialität, ernsthaftem Jagdverhalten, Aktionismus, Arbeitswillen oder Nervosität Du mit einem Hund  klarkommst oder wie sportlich Du eigentlich wirklich bist, wenn Du Dir eine aktive Hunderasse zulegst:

Jeden Morgen 2 Kilometer zu joggen ist zwar schön, aber als einzige regelmäßige tägliche Auslastung für jeden gesunden Hund zu wenig.

Wenn ein Mensch sich in Konflikten nicht gut aufgehoben fühlt, es gerne vor allem harmonisch mag oder es ihm im Alltag schlicht an entsprechender Zeit für Erziehung, Ausbildung und sinnvolle Auslastung fehlt, dann sind viele Gebrauchshunderassen und ihre Mixe in der Regel keine gute Wahl. Egal, wie hübsch man sie finden mag…

Fairness heißt auch, Deinen Hund als Hund mit seinen Bedürfnissen, seiner Persönlichkeit und Eigenschaften ohne rosarote Brille zu sehen und ihm Möglichkeiten zur kontrollierten Entfaltung seiner hündischen und rassebedingten Eigenschaften zu geben. Die aktive Entscheidung, Dir genau diesen Hund anzuschaffen, hast Du getroffen, nicht Dein Hund.

Und ganz zum Schluss gehört zur Fairness gegenüber Deinem Hund auch, dass Du ihm alle alle Deine verpflichtenden Wortkommandos so sauber, kleinschrittig und präzise beibringst, dass er sie auch später fehlerfrei ausführen kann. Wie gut Dein die Hund diese Handlungsabläufe nachher abrufen kann, hat – wie sovieles im Leben – mit Deiner Zeit, Genauigkeit, Geduld und Konsequenz zu tun.

Du musst nicht die Welt führen. Es reicht, wenn Dir Dein Hund folgt.

„Soll sich der Hund in seinem Verhälten ändern, muss sich zunächst der Mensch ändern.“

(Erik Zimen)