Schmerzbedingte Aggression: Ein unterschätztes Thema
Ich möchte ein Thema aufgreifen, das meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet wird. Nämlich die Bedeutung von Schmerzen bei Aggressionsproblemen bei Hunden.
Mir werden häufig Hunde zum Training vorgestellt, bei dem sich die Hundehalter Hilfe wünschen, weil ihr Hund Schwierigkeiten mit Artgenossen zeigt, mit fremden Menschen oder ähnlichem.
Wenn man sich diese Hunde genau anschaut, ist immer wieder festzustellen, dass ein gar nicht so kleiner Teil davon überhaupt nicht richtig läuft bzw. laufen kann.
Unerkannte Probleme
So bewegen sich viele Hunde z.B. in Schonhaltungen, sind an bestimmten Stellen berührungsempfindlich, steif im Rücken, tragen ihre Rute nicht so, wie sie sollten, die Krallen zeigen Schleifspuren etc. pp.
Die sind eindeutige Indizien für Schmerzhaftigkeit.
Spricht man die Hundehalter darauf an, sind diese in der Regel total perplex!
Es ist ihnen nicht aufgefallen.
Oft erzählen die Besitzer, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, dass ihr Hund Schmerzen haben soll. Denn er kann ja mit ihnen unermüdlich Ball spielen, tobt trotzdem mit seinem besten Kumpel um die Wette und anfassen können sie ihn auch überall.
So einfach ist es aber nicht.
Endorphine & Adrenalin können kurzzeitig Schmerz unterdrücken
Unsere Hunde nehmen Schmerzen für einen kurzzeitigen Spaß durchaus in Kauf. Ähnlich wie wir Menschen dies manchmal auch tun. Wider besseren Wissens gehen wir doch joggen oder Fußball spielen, auch wenn zumindest WIR es besser wissen sollten.
Wir tun es aber aus den selben Gründen wie unsere Hunde: Wenn wir Spaß haben, Lust und Freude an etwas empfinden, werden u.a. Endorphine, die sogenannten Glückshormone, ausgeschüttet, die Schmerzen – zumindest – kurzfristig hemmen können.
Vertrauen lässt Schmerz oft klaglos ertragen
Auch eine gute Vertrauensbasis vom Hund zum eigenen Halter lässt ihn häufig klaglos schmerzhafte Berührungen tolerieren, ohne dass der eigene Mensch erkennt, dass es dem Tier unangenehm ist. Der Hund nimmt diese für soziale Zuwendung in Kauf.
In den Situationen, wo es aber nicht um Spaß und Vertrauen geht, können sich betroffene Vierbeiner dann durchaus ziemlich aggressiv zeigen. Im Sinne des Selbstschutzes: Hau ab!
Schmerzgedächtnis
Schmerzbedingte Aggression wird in der einschlägigen Literatur bei ca. 20% eingeordnet. Entweder direkt oder in Verbindung mit dem sog. „Schmerzgedächtnis“ und/oder Assoziationslernen.
Das Schmerzgedächtnis bezeichnet das Gedächtnislernen von Körperzellen. Sie sind z.B. verantwortlich dafür, dass manche Schmerzen chronisch werden können, obwohl die Ursache gar nicht mehr vorhanden ist. Damit so etwas im günstigsten Fall nicht passiert, verschreiben Tierärzte übrigens in vielen Fällen sehr schnell für einen gewissen Zeitraum schmerzhemmende Medikamte.
Schmerzreize und Assoziationslernen
Beim Assoziationslernen hat ein Lebewesen gelernt, dass bei ihm Schmerzen durch bestimmte Bewegungen/Handlungen oder ähnliches ausgelöst worden sind.
Ein konkretes Beispiel:
Ein Hund hat sich schmerzhaft eine Kralle verletzt, die Versorgung und Wundbehandlung tut ihm ebenfalls weh, danach zeigt er jedes Mal die Zähne oder schnappt, wenn man nur nach der Pfote greift, um ihm die Füße abzuputzen. Das Greifen nach der Pfote reicht also, um ihn Schmerzen erwarten zu lassen.
Das Blöde bei der schmerzbedingt assoziierten Aggression ist, dass sie nicht bewusst ausgeführt wird. Das heißt, nicht willentlich und überlegt. Es handelt sich tatsächlich eher um eine reflexartige Reaktion auf einen sogenannten Schlüsselreiz.
Und damit schlage ich wieder den Bogen zum Anfang meines Textes:
Auch wenn Aggressionsprobleme natürlich nicht immer die alleinige Folge von akuten oder latenten Schmerzen sind, können Schmerzen aber (mit-)ursächlich für aggressives Verhalten sein.
Und gerade Schmerzen aus dem Bewegungsapparat sind bei Hunden nicht selten und sollten immer mit einbezogen werden, wenn es um ein Verhaltenstraning mit Hunden geht. Man kann über reines Training häufig gar nicht alle Aggressions-Ursachen behandeln. Dafür bedarf es durchaus zusätzlicher Hilfe. Der von Tierärzten und Hundephysiotherapeuten zum Beispiel.
© Judith Borck – Hundeschule Bremen – Training für Mensch und Tier
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